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Reden und Texte

 

Virtuelles Erich Scherer Archiv

 

Empfang Bundestagsvizepräsidentin Renger 1982
Die Last des Wiederaufbaus

Rede von Erich Scherer

 

Verehrte Frau Präsidentin Renger, die Herren Abgeordneten, 
meine Damen und Herren!

Als Bürgermeister unserer Gemeinde und im Auftrag unseres Gemeinderats darf ich Sie alle heute willkommen heißen. Ich freue mich, daß Sie unserer Einladung folge geleistet haben. Es ist für uns alle und für unsere ganze Gemeinde eine hohe Ehre, einen so hohen Gast, Sie Frau Präsidentin Renger, sehr herzlich bei uns begrüßen zu dürfen. Wir freuen uns über Ihren Besuch und hoffen, daß Sie sich bei uns recht wohlfühlen und das Gefühl in die hohen Sphären Bonns mitnehmen, in einer Gemeinde und unter Bürgern gewesen zu sein, die ihr Herz am richtigen Fleck haben.

Frau Präsidentin Renger, Sie gehören einer Generation an, die in ihrer Jugend- und Reifezeit mehr Not, Leid und Verzicht ertragen mußte wie keine andere, die aber auch nach dem Zusammenbruch die ganze Verantwortung, die ganze Last und Bewältigung des Wiederaufbaues auf allen politischen, menschlichen und wirtschaftlichen Gebieten tragen mußte. Einer Generation, die nie aus einer Verantwortung entlassen wurde, für die ihr nur ein geringer Teil Verantwortung zugemessen werden kann.

Bereits kurz nach dem Kriegsende hat Sie Ihr politischer Weg zu Kurt Schumacher - wohl dem bedeutendsten Mann der SPD nach dem Kriege geführt. Sieben Jahre haben Sie an seiner Seite gestanden und waren gleichzeitig seine Sekretärin, Vertraute und führten den Haushalt. Dazu kam noch die Rolle der Krankenpflegerin dieses so schwer beschädigten Mannes.

Sie berichten über den tiefen Eindruck, den eine Rede von ihm auf Sie gemacht hat: "Da sagte dieser Mann unserem geschundenen, entnervten, in Trümmern lebenden und von vielen menschlichen Verlusten getroffenen Volk: Es muß eine Zukunft geben. Die junge Generation dieses Volkes hat ein Recht auf die Zukunft. Diese jungen Menschen waren nicht Hitlers Verbündete, sie waren seine Opfer."

Es war Ihre Schicksalsstunde, der Beginn eines Weges, der in Ihren Äußerungen immer wieder die Erinnerung an Kurt Schumacher, seine Überzeugungen und seine Persönlichkeit wach ruft. Wenn meine Gedanken in diese Jahre eines Neubeginns, eines ungeahnten Aufschwunges zurückwandern, dann treten neben Kurt Schumacher noch zwei große Männer in meine Erinnerung - Konrad Adenauer und Theodor Heuss. Wir können uns glücklich schätzen, diese drei Männer, eckig und kantig wie sie waren, in allen wichtigen Fragen aber stets zur Zusammenarbeit bereit, als Geburtshelfer unserer freiheitlichen Demokratie gehabt zu haben!

1953 sind Sie nun selbst Bundestagsabgeordnete geworden. Im Mittelpunkt Ihres Wirkens stand der Kampf für die Anerkennung der Frauen und ihrer Interessen. "Chancengleichheit" - so sagten Sie - "beginnt für mich bei gleichem Lohn für gleiche Arbeit." Von 1972-1976 waren Sie Bundestagspräsidentin und seither - auf Grund des Bundestagswahlergebnisses - Vizepräsidentin. Trotz mancher Bedenken, ob Sie die Rolle des zweiten Mannes als erste Frau im Staate würden spielen können, so der Bonner Korrespondent der Badischen Neuesten Nachrichten am 6. Oktober 1979: "... aber Annemarie Renger widerlegte die Skeptiker, versah das Amt mit Würde, Charme und Geschick." Und weiter stellt Lorenz fest: "Sie kann kämpfen, wie ein Mann. Sie ist der lebende Beweis gegen das landläufige Vorurteil, Politik verderbe des Weibes Charme und Charakter. Dabei übersehen viele, daß die Dame Renger eine Sozialdemokratin von altem Schrot und Korn geblieben ist."

In einem Interview zur Bundestagswahl 1976 sagten Sie: "Ich bin prinzipiell dagegen, daß man sagt, wenn der eine oder andere gewinnt, daß der Untergang Deutschlands bevorsteht, und, daß alle drei im Bundestag vertretenen Parteien trotz all der Erschwerungen koalitionsfähig bleiben sollen." Und, man meint, es sei gestern gesprochen worden: "Es wäre gut, wenn mehr über Sachprobleme als über Personen geredet würde."

Sehr geehrte Frau Präsidentin, trotz des wunderschönen Frühlingswetters ist in den Diskussionen in Bonn wenig von Frühling und Sonnenschein zu sehen und zu hören. Zu groß und schwierig scheinen die vielen Probleme zu sein, die Regierung und Bundestag, aber auch unser ganzes Volk derzeit berühren, verunsichern, und, was wohl das Schlimmste ist, verängstigen. Wenn wir an die harten Realitäten der Aufbauphase unserer Bundesrepublik denken, sollte eine Lösung möglich sein. Jene schwierigen Aufgaben und Probleme sind durch gemeinsame Anstrengungen, durch Fleiß und Hingabe gelöst worden. Die großen Probleme, die uns bewegen und gelöst werden müssen, sind auch immer ein Problem des politischen Verfahrens und des Umgangs miteinander. Und daran scheint zur Zeit ein echter Mangel zu herrschen.

Mit "Mir geht nichts über mich", mit dem herrschenden Gruppenegoismus werden wir die Schwierigkeiten nicht überwinden. Wir müssen das "Wir", die gemeinsame Verantwortung aller Demokraten leben und in den Entscheidungen sichtbar machen, wenn wir der Verantwortung unserer Generation für die Lebenschancen und Möglichkeiten künftiger Generationen gerecht werden wollen.

 

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin!

Als sichtbares Zeichen unserer Hochachtung und unserer Freude über Ihren Besuch in unserer Gemeinde darf ich Ihnen nun diesen Blumenstrauß und in diesem Korb die Früchte unserer Gegend überreichen. Bereits in der Oberamtsbeschreibung des alten Oberamtes Nürtingen ist über den Wein aus unserer Gemeinde zu lesen: "Z'Linsahofa, auf'm Sand, wächst dr Best im Oberland!" Ich hoffe sehr, er wird Ihnen munden und Sie dann an Ihren Besuch bei uns in Frickenhausen erinnern. Und nun darf ich Sie alle bitten, mit mir das Glas zu erheben und auf das Wohlergehen unseres Gastes zu trinken.

Empfang für Bundestagsvizepräsidentin Annemarie Renger im Rathaus Frickenhausen, 26. März 1982