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Virtuelles Erich Scherer Archiv
Einweihung des Jugendhauses 1953
Die Jugend verlernte, jung zu sein
Rede von Erich Scherer
Es ist ein alter Brauch, daß man eine Pause einlegt und das
Richtfest begeht, wenn der letzte Balken in das Dach eingefügt, aber
auch wenn das Bauwerk vollendet ist.
Diese Pause, die wir heute einlegen, gibt uns Gelegenheit zur
Besinnung und Dankbarkeit. Sie gibt uns Gelegenheit, das Geschaffene zu
überblicken, Rückschau zu halten, uns der Gründe bewußt zu werden,
die bei der Entstehung dieses Hauses Pate gestanden haben und allen für
ihren Fleiß zu danken, damit sie mit neuer Schaffenskraft und Freude
das Werk vollenden mögen.
Von der Idee, vom ersten Beschluß des Gemeinderats im Herbst 1950
bis zum heutigen Tag ist ein weiter Weg. Ein Weg, der sehr oft mit
großen Schwierigkeiten bepflastert war. Daß sich alles zum Guten
gewendet hat, ist ein Beweis der Richtigkeit des gefaßten Beschlusses
aber auch der Verpflichtung, die wir alle der Jugend und der Schule
gegenüber zu tragen haben.
Was waren nun die Gründe unseres Tuns? Man spricht heute häufig
viel von einem Jugendproblem. Kluge Menschen sagen dazu, daß jedes
sogenannte Jugendproblem eigentlich ein Erwachsenenproblem sei. Und
damit dürfen sie wohl recht haben, denn wir müssen wieder und wieder
beobachten, welche Macht die Umwelteinflüsse auf Wesen und Charakter,
Tun und Lassen unserer Jungen und Mädchen haben. Die Menschheit hat in
Kriegs- und Nachkriegszeiten an ihren sittlichen Grundsätzen nicht mehr
festgehalten. Enttäuschungen und Entbehrungen rissen viele Menschen aus
der Sicherheit der angestammten und der trauten Heimat. Flucht und
Vertreibung, der Verlust des Vaters und des Bruders taten ihr übriges
dazu. Langsame und natürliche Entwicklung wurde durch Umsturz und
Revolution abgelöst. Die Bedrohungen, denen das nackte Leben ständig
ausgesetzt ist, haben Werte entwertet und neue oft höchst fragwürdige
Werte geprägt. Unter allen diesen Umständen erheben sich nun die
besorgten Fragen nach unserer Jugend. Sie wurde das Leiden gelehrt, ehe
sie die Freude kannte. Sie sah den Tod, ehe sie wußte, was es heißt zu
leben. Verantwortung drückte auf ihre jungen Schultern, ehe sie
empfanden, daß jemand für sie Verantwortung übernommen hätte. Die
Jugend verlernte, jung zu sein.
Die Atmosphäre unserer Zeit ist bestimmt von einer großen Hetze und
Unrast. Unser Auftrag muß es sein, dieser Jugend zu helfen, ihr unter
die Arme zu greifen und eine Heimat zu schaffen, in der sie sich
wohlfühlen kann und sich geborgen weiß.
Wenn wir die besonderen Verhältnisse in unserer Gemeinde
heranziehen, dann wird uns dieses Problem in seiner Vielgestaltigkeit
erst richtig bewußt. Die Enge der Wohnverhältnisse gestattet es vielen
einfach nicht, sich in ihrer Freizeit mit geistigen Dingen zu
beschäftigen, sich mit Freunden zu treffen, zu spielen und zu basteln.
Unsere Schule war bisher räumlich so eingeengt, daß ohne Unterricht in
schlecht belüfteten und belichteten Kellerräumen und ohne
Schichtunterricht, der immer und immer wieder zu Reibereien und
Unzuträglichkeiten Anlaß gab, das Schulpensum nicht erledigt werden
konnte. An die Abhaltung von Werkunterricht war gar nicht zu denken. Den
Vereinen und Jugendgruppen stand in der ganzen Gemeinde kein geeigneter
Raum zur Verfügung. Brauchen wir uns deshalb zu wundern, daß der
Aufenthalt für unsere Jugend die Straße wurde?
Die Verhältnisse des Kindergartens sind nicht besser. Es muß die
vornehmste Aufgabe der Gemeinde sein, unserer Jugend zu helfen, ihre
Lebensbedingungen zu verbessern, sie zu erleichtern und ihr so zu
helfen, ihre Existenzaufgabe zu lösen.
Wenn wir uns von hier aus umsehen, dann können wir feststellen, daß
überall in der Gemeinde gearbeitet und gebaut wird, um diese Aufgabe zu
erfüllen. Baustelle reiht sich an Baustelle. In der Behebung der
Wohnungsnot sind wir, wie Sie an den vielen neuen Dächern ersehen
können, ein schönes Stück weitergekommen. Nun galt es aber auch, die
Not der Jugend und der Schule wenigstens von der räumlichen Seite her
zu lösen. Es galt, die heutigen Spannungen und Gegensätzlichkeiten zu
beseitigen.
Daß sich der Gemeinderat und die Gemeindeverwaltung dieser Aufgabe
bewußt war, und daß sie gelöst wurde, sehen sie an diesem schönen
Bau. Bei all den vielfältigen Aufgaben, die der Gemeinde heute gestellt
sind, war dies nicht ganz leicht. Es erforderte ein offenes Herz für
die Sorgen und Nöte, aber auch das richtige Maß für die Dringlichkeit
der Aufgabe. Dieses Wollen hätte sich aber erst viel, viel später
verwirklichen lassen, hätten wir nicht aus Mitteln, die die USA für
solche Vorhaben zur Verfügung stellte, eine großzügige Hilfe
erfahren. Dafür heute ganz besonders zu danken, ist uns ein inneres
Anliegen. So wurden uns Mittel in die Hand gegeben, mit deren Hilfe wir
dieses schöne Haus beginnen und vollenden konnten.
Meine Damen und Herren, liebe Jugend, was ist nun dieses Jugendhaus?
Es soll ein Treffpunkt der Jugend sein, in dem sie in ihren beruflichen
und weltanschaulichen Verbänden, allein oder mit Freunden und
Gleichgesinnten ihren Interessen und Aufgaben leben kann, in dem sie
Freundschaftsspiele, Aussprache und jugendliche Verbundenheit
verwirklichen kann. Ein Haus, in dem sie singen, spielen, lesen, basteln
und musizieren kann. Sie soll hier ganz jung sein und ihr Leben leben.
Es ist eine Lebenserfahrung, daß eine neue Generation sich mit neuen
Eindrücken auseinandersetzt und das, was gewesen ist, vom eigenen
Standpunkt aus betrachtet. Es ist die Aufgabe der Jugend, sich des Erbes
bewußt zu werden und neues Erbe zu schaffen. Dann soll ein Jugendhaus
derjenige Ort sein, in dem sich Gedanken begegnen und die Herzen
miteinander froh werden im Glauben an die Zukunft.
Auch die Schule und gerade sie wird hier Räume finden und durch die
Entlastung ihrer bisherigen Räume die Freizügigkeit und Freiheit
zurückerhalten, ihrer Aufgabe wieder voll gerecht zu werden. Bei der
bisherigen Enge war dies einfach nicht möglich. So wird dieses Haus
eine Verbindungsstelle aller sein, die sich mit Problemen der Jugend
beschäftigten, aber auch der Jugend selbst.
Das Geld, das hier in dieser Anlage steckt, wird sich hundertfältig
verzinsen und in späteren Generationen ein Denkmal sein für die
Großzügigkeit und das Verständnis für die Jugend. Die Zukunft ist
unsere Jugend, unsere Kinder. Die Zukunft unserer Gemeinde, unseres
Staates und unseres Volkes hängt nicht ab von Kapital und Kanonen, wohl
aber von der seelischen Kraft, der Heimatliebe und dem Freiheitswillen
seiner Jugend.
Dieser wunderbare Herbsttag, so recht geschaffen, das Richtfest des
Kindergartens und die Übergabe des Jugendhauses festlich zu begehen,
gibt mir Veranlassung, allen zu danken, die an dem Entstehen dieses
Hauses mitgeplant und mitgearbeitet haben. Danken dürfen wir aber auch
dem Allmächtigen, der seine schützende Hand über diesem Bauwerk
gehalten hat, daß niemand etwas ernsthaftes zugestoßen ist.
Mein Dank gilt in erster Linie den Amerikanern, die uns durch ihre
Spende in die Lage versetzt haben, dieses Haus zu bauen. Er gilt dem
Architekten Dipl. Ing. Langbein und seinem Büro für die Planung und
die schöne harmonische Gestaltung der ganzen Anlage, er gilt Herrn
Eckstein für seine aufopferungsvolle und umsichtige Bauleitung, er gilt
allen Handwerkern, den Meistern und Gesellen und allen, die mitgeholfen
haben und den Lieferanten. Danken möchte ich an dieser Stelle den
früheren Grundstücksbesitzern, die durch Überlassung ihrer
Grundstücke uns den Bauplatz zur Verfügung stellten. Danken möchte
ich aber auch unserer Kreisverwaltung, an deren Spitze unserem Herrn
Landrat für die Unterstützung, die er uns gewährte; und nicht zuletzt
dem Gemeinderat für sein Verständnis und das Verantwortungsbewußtsein
den Belangen der Schule und der Jugend gegenüber sowie den
Gemeindearbeitern, die sich alle Mühe gegeben haben, bis zum heutigen
Tag alles fertig zu machen. Vergessen seien auch meine engsten
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf dem Rathaus nicht, denen nichts zu
viel war und die die vielfältigen Sorgen mitgetragen haben.
Wenn wir uns heute freuen über das schöne Werk, das wir geschaffen
haben, so wollen wir doch in keiner Minute in Selbstzufriedenheit
verfallen. Wir stehen jederzeit vor neuen Aufgaben. Mögen von diesem
Tag neue Impulse ausgehen, damit die Gemeinde mit gesteigerter
Schaffensfreude ihre großen Aufgaben in Gegenwart und Zukunft erfüllen
kann.
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