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Virtuelles Erich Scherer Archiv
Einweihung des Kindergartens Tischardt 1974
Selbstvertrauen und Gruppenfähigkeit
Rede von Erich Scherer
Liebe Kinder, werte Gäste, meine Damen und Herren!
Ein freudiges Ereignis vereint uns heute. Wir dürfen den neuerbauten
Kindergarten in die Obhut der Kindergärtnerinnen und damit unseren
Kindern als neue, nun endgültige, als ihre künftige zweite Heimat
übergeben. Dabei wird alles noch viel schöner, wenn wir bei diesem
schönen Wetter die frohen und erwartungsvollen Gesichter unserer Kinder
ansehen. Mit heiteren Spielen haben sie uns begrüßt und uns gezeigt,
daß dieser Tag i h r Tag ist. Die bescheidenen und beengten
Verhältnisse haben nun ein Ende. Ein großzügig geplantes, den
Bedürfnissen unserer Kinder angepaßtes und gut ausgestattetes Haus
gehört nun ganz unseren Kinder.
Ich darf Sie alle zu der Einweihung des Kindergartens sehr herzlich,
zugleich im Namen des Gemeinderats und des Ortschaftsrates begrüßen.
Wir freuen uns, daß wir alle zusammen in dieser schönen Umgebung mit
dem Blick auf die Albberge dieses Gemeindefest begehen dürfen.
Mein besonderer Gruß gilt Oberverwaltungsrat Müller vom Landratsamt
und Sozialpädagogin Schauber, den Vertretern des Architekturbüros Frik
und Partner, Herrn Frik, Fräulein Schmid, Herrn Hass und Herrn Gall,
dem Statiker Herrn Fritz Doster, dem Gartenarchitekten Herrn Sigmund,
den Vertretern der am Bau beteiligten Firmen, Herrn Pfarrer Müller und
Herrn Prediger Riedel, den Elternvertretern, unseren
Kindergärtnerinnen, Frau Werner und Herrn Rektor Hahn, den Mitgliedern
des Kindergartenausschusses, Herrn Diening von der Nürtinger Zeitung.
Danken möchte ich für Spenden von 100 DM einer Rentnerin, die nicht
genannt sein will, sowie Herrn Fritz Doster.
Die Geschichte unseres Kindergartens ist kurz und doch mit vielen
Schwierigkeiten, personeller und räumlicher Art verbunden. Während des
Krieges bestand kurze Zeit hier ein Kindergarten. Die eigentliche
Kindergartenarbeit wurde bzw. konnte erst aufgenommen werden, nachdem
durch die Einführung der Hauptschule ein Schulraum im alten Schulhaus
frei geworden war. Fräulein Joos war unsere erste Kindergärtnerin. Sie
hatte es besonders schwer. Am 13. Mai 1968 konnten wir dann anfangen.
Frau Panowitz und Frau Elsässer waren ihre Nachfolgerinnen. In diesem
Frühjahr hat Fräulein Pekrul von Frickenhausen ausgeholfen. Jetzt ist
Fräulein Wissmann die Leiterin des Kindergartens. Trotz der vielen
Erschwernisse haben sie eine gute Arbeit geleistet und dazu beigetragen,
daß der Kindergarten sehr schnell ein fester Teil der Gemeinde wurde.
Ihnen allen möchte ich heute unseren sehr herzlichen Dank für diesen
Dienst an unseren Kindern sagen und unsere Anerkennung versichern.
Bereits bei der Aufstellung des Bebauungsplanes für dieses Gebiet
vor nunmehr bald 15 Jahren wurde dieser Platz als der künftige Bauplatz
für einen Kindergarten und eine neue Grundschule festgelegt und dann
konsequent Grundstücke eingetauscht, um eigene Flächen in die
Baulandumlegung einbringen zu können. Bei der Vereinbarung mit
Frickenhausen wurde festgelegt, daß mit der Planung und der Erstellung
des Kindergartens umgehend begonnen werden sollte. Die Vorbereitungen
für die Planung, Einleitung der BLU, Erschließung des Geländes waren
bereits getroffen, auch stand eine Rücklage zur Verfügung. Die
seinerzeit erwarteten Baukosten mit rund 500.000 DM reichten jedoch bei
weitem nicht aus, allerdings war der Bau von zwei Wohnungen nicht
eingeplant, auch nicht die Kostenerhöhung. Wir werden mit rund 900.000
DM rechnen müssen. Die Finanzierung ist gesichert. Das Büro Frik und
Partner, Nürtingen, erhielt den Planungsauftrag. Am 13. November 1972
sprach das Landratsamt Nürtingen die Baugenehmigung aus. Es wurden nun
die Bauarbeiten ausgeschrieben und nach Eingang der Zusage des
Staatsbeitrages in Höhe von 72.000 DM am 28. Mai 1973 mit den
Bauarbeiten durch die Firma Brändle, Köngen, begonnen. Nach 13 Monten
Bauzeit dürfen wir dieses schöne Haus nun seiner Bestimmung
übergeben.
Wir haben allen Grund, allen am Bau Beteiligten unseren sehr
herzlichen Dank zu sagen und unserer Freude Ausdruck geben über dieses
gelungene Werk: den Architekten, Fräulein Schmid, Herrn Hass, und Herrn
Gall vom Büro Frik für die ausgezeichnete Planung, Herrn Dipl. Ing.
Doster für die Statik, dem Gartenarchitekten Herrn Sigmund für die
Planung der Außenanlagen, allen Handwerkern, ihren Meistern, Gesellen
und Arbeitern, die dieses Haus gebaut haben, unseren Gemeindearbeitern
für ihre Mithilfe, den Kindergärtnerinnen für die Vorbereitungen, den
Frauen und Müttern, die alles schön eingeräumt und sauber gemacht
haben, aber auch Herrn Ortsvorsteher Brandstetter für seine umsichtige
Unterstützung. Danken darf ich allen für die vertrauensvolle und
reibungslose Zusammenarbeit. Alle haben sich bemüht, eine gute Lösung
zu finden und eine saubere Arbeit zum Wohle unserer Kinder zu leisten.
Dank den Spendern. Nach dieser Feier dürfen sie sich selbst davon
überzeugen. Ab Mittwoch werden hier frohe Kinder spielen und sich
freuen dürfen.
Wir, von der Gemeinde her, können Voraussetzungen schaffen,
Möglichkeiten anbieten - sie mit Leben füllen, uns dienstbar zu
machen, dazu bedarf es der Mithilfe und Untersützung aller. Nicht
unumstritten ist in den letzten Jahren die Arbeit der Kindergärten. Ich
meine, es ist ein Glück für uns alle, daß die Überlegungen vom rein
theoretischen wieder mehr bei der praktischen Arbeit ansetzen, und daß
so unsere Kinder und ihr Wohl im Vordergrund stehen und nicht
egoistische Forderungen einiger Eltern, denen es bei ihren Kindern in
erster Linie um die Erfüllung ihrer eigenen Wünsche und weniger um die
Förderung der gegebenen Anlagen ihrer Kinder geht. Die Folge war eine
einseitige Betonung des Intellekts. Um mit den Problemen fertig zu
werden, sind Gemütswerte oft jedoch entscheidender als
verstandesmäßige Überlegungen.
Der Vater des Kindergartens Friedrich Fröbel hat bereits zu Anfang
des 19. Jahrhunderts klar die große Bedeutung des Spiels für die
Entwicklung der Gemütswerte und des Sozialverhaltens erkannt. Im Spiel
sah er das "reinste, geistigste Erzeugnis des Menschen auf dieser
Stufe". Daß Spielen das dem Menschen innewohnende Prinzip ist, hat
der andere bedeutende Pädagoge deutscher Zunge, Pestalozzi, ebenso klar
erkannt.
Die große Bedeutung des Spiels für die Entwicklung des Kindes kommt
aber auch sehr deutlich in einer Aussage Friedrich Schillers, unseres
Landsmannes, zum Ausdruck, wenn er sagt: "Der Mensch spielt nur, wo
er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist und er ist nur da ganz
Mensch, wo er spielt." So sollen unsere Kinder im Kindergarten
spielend lernen - im S p i e l lernen.
Einigkeit besteht heute darüber, daß der Leistungsdruck so lange
wie möglich vom Kind ferngehalten werden muß, um ihm zu ermöglichen,
seine musischen Fähigkeiten zu entwickeln. Auf die Frage der Mutter
eines 5jährigen Buben, welchen Lesestoff sie empfehlen könnte,
antwortete eine Psychologin: "Lassen Sie ihn spielen!"
In den Richtlinien und Arbeitshilfen des Kultusministeriums für die
Versuche für die vorschulischen Einrichtungen wird die selbständige
Bedeutung des Kindergartens hervorgehoben. Sie übernehmen nicht den
Leistungsgedanken, sondern sollen dem Kind vor allem ein Erfolgserlebnis
ermöglichen. Die Richtlinien gehen von sogenannten Funktionszielen aus
als Voraussetzungen des Lernens. Dazu gehören neben Selbstvertrauen und
Gruppenfähigkeit auch die Bereitschaft, den anderen in seiner Eigenart
zu erkennen und anzuerkennen, Offenheit für das Religiöse,
Entscheidungsfreudigkeit usw. Nach den Worten von Kultusminister Hahn
erhalten die Lehrstoffe auf dieser Stufe nicht Selbstwert, sondern geben
nur Anlässe zur Anregung, Entfaltung und Einübung des Lernverhaltens.
Man kann sicher geteilter Meinung sein, ob es richtig ist, daß sich
der Staat immer mehr in Lebensbereiche einmischt. Sicher wird es in
unserem hochindustrialisierten Land und dichtbesiedeltem Raum ohne
Einhaltung gewisser gemeinsamer Grundsätze nicht gehen. Aber sollen wir
glücklich über die immer mehr zunehmende staatliche Reglementierung
sein? Erstickt sie nicht gerade die persönliche Freiheit, die wir
bewahren sollen, die Verantwortung der eigenen Entscheidung, den Mut zu
neuen Ideen, damit aber auch die Liebe zu den uns anvertrauten Kinder.
Liebe ist ein Produkt der Freiheit, nicht des Zwanges und der
Bevormundung.
Liebe Kinder!
Für Euch haben wir diesen schönen Kindergarten gebaut, ihr sollt
nun Besitz davon nehmen. Wir haben uns alle angestrengt, Euch ein Haus
zu bauen, in dem Ihr glücklich sein könnt, das Euch zum Spielen und
Singen anregt, in dem Ihr Euch bewegen könnt. Ein Haus, eingeschlossen
in die Natur, mit großen Fenstern, damit Ihr die Schönheit Eurer
Heimat, der Albberge in Euch aufnehmen könnt, ein Haus, das Euch
beschützt und Euch die Möglichkeit gibt, Euch zu entfalten, innerlich
und äußerlich zu wachsen. Das ist das Geschenk Eurer Väter und
Mütter, die uns das Geld gegeben haben, um Euch dieses Heim zu
schaffen. Nehmt es, es soll Euer Kindergarten sein!
Ich möchte hoffen, daß sich dieser Kindergarten, der nunmehr
vierte, den wir nach dem Krieg gebaut haben, zum Glück und Segen für
unsere Kinder und zum Nutzen für die gesamte Gemeinde auswirkt.
Einweihung des Kindergartens Tischardt am 16. Juni 1974
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