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Virtuelles Erich Scherer Archiv
150 Jahre Liederkranz Frickenhausen 1983
In freiheitlicher Tradition
Rede von Erich Scherer
Herr Kögler, Herr Strauß, liebe Sängerinnen und Sänger,
verehrte Gäste aus nah und fern!
Es ist sicher nichts Alltägliches, an einem 150jährigen Jubiläum
eines Vereins teilnehmen zu dürfen. Das ist eine so lange Zeitdauer, daß
wir uns schon Gedanken machen müssen, um zu begreifen, was das
eigentlich ist - 150 Jahre lang besteht unser Liederkranz nun in unserer
Gemeinde, Teil und eingebettet in ihre Geschichte und die Geschichte
unseres Volkes mit all seinen Höhen und Tiefen, Freuden und Sorgen,
leidvoller Erfahrung und neuem hoffnungsvollem Beginnen. Es ist deshalb
für mich eine besondere Freude und Ehre, dem Jubilar zu diesem großen
festlichen Ereignis die besten Grüße und Glückwünsche unserer
Gemeinde und ihrer Bürger überbringen und ihm auf seinem künftigen
Weg viel Freude und Erfolg in seinem selbstgesetzten Tun wünschen zu dürfen.
Damit verbinden darf ich aber auch den Dank und unsere Anerkennung an
alle, die den Verein 1832 gegründet und ihn in den vielen Jahren seines
Bestehens begleitet und unterstützt haben. Viel Freude hat der Verein
seinen Mitgliedern, aber auch unserer ganzen Gemeinde und ihren Bürgern
geschenkt und sie in freudigen und leid vollen Tagen begleitet.
Herzliche Grüße darf ich aber auch Ihnen allen, liebe Gäste,
entbieten, die Sie unserem Jubilar und unsere Gemeinde heute besuchen
und damit Ihre Verbundenheit ausdrücken. Wir wollen heute alle
miteinander der Freude und der Heiterkeit Tür und Tor, - unsere Sinne
und unsere Herzen weit öffnen. Heute ist der richtige Zeitpunkt, uns
miteinander zu freuen.
Die Gründerzeit unseres Liederkranzes war geprägt von den Ideen der
Freiheitskriege, der Anfänge der Industrialisierung und dem Erwachen
des liberalen Bürgertums. Das Hambacher Fest 1832 war Ausdruck des
demokratischen Aufbruchs und der Sehnsucht nach staatlicher Einheit.
Der beste Kenner der deutschen Geschichte des neunzehnten
Jahrhunderts - Heinrich von Treitschke - sagt: "Keine andere Kunst
aber hat in der Epoche der deutschen Romantik so reife und durchweg
gesunde Früchte gezeitigt wie die Musik. Die Musik vereinigt, mehr noch
als die Literatur, alles zu gemeinsamer Freude." Und zur Sängerbewegung
sagte er: "Da gab zur rechten Zeit, 1817, der Schweizer Nägeli die
Gesang-Bildungslehre für den Männerchor heraus. Er nannte den
Chorgesang "das allein mögliche Volksleben im Reiche der höheren
Künste." Sieben Jahre später entstand der Stuttgarter
Liederkranz, das Vorbild für die zahlreichen Liederkränze, die nach
der zwanglosen Weise sich nicht scheuten, mit öffentlichen Aufführungen
und Sängerfesten vor das Volk hinauszutreten. Die Musik wurde die
gesellige Kunst des neuen Jahrhunderts, ein unentbehrlicher Schmuck für
jedes deutsche Fest, recht eigentlich der Stolz der Nation. In allen
Gauen erwachte die Sangeslust, wie nie mehr seit den Tagen der
Meistersinger. Man empfand lebhaft, wie mit dieser neuen edleren
Geselligkeit ein freierer Luftzug in das Volksleben kam und rühmte
gern, daß "vor des Gesanges Macht der Stände lächerliche
Schranken fielen". Unzählige Leute empfingen allein durch den
Gesang die Ahnung einer reinen, über dem Staub und Schweiß des
Alltagslebens erhabenen Welt." Soweit Heinrich v. Treitschke.
Zum Zeitpunkt der Gründung unseres Liederkranzes fand in Esslingen
bereits das fünfte Liederfest statt. Einen recht großen Einfluß auf
die schwäbische Sängerbewegung nahm Friedrich Silcher, einer der
eifrigsten Förderer volkstümlichen Chor- und Singwesens, selbst
Komponist vieler schöner Lieder und einer der größten Sammler von
Volksliedern, sowie Karl Pfaff, der Mitbegründer des Schwäbischen Sängerbundes.
Doch neben vielen schönen Erfolgen in den vielen Jahren waren auch
wirtschaftliche und politische Widerstände und Schwierigkeiten zu überwinden.
Neben den Kriegen riß gerade in unserer Gemeinde die große
Auswanderungswelle fühlbare Lücken in die Reihen der Sänger. Und
immer wieder führte Traditionsbewußtsein und das Verantwortungsgefühl
dem anvertrauten Erbe gegenüber Menschen zusammen, die einen Neuanfang
wagten. So auch nach dem letzten Krieg. Nicht Vereinsmeierei, sondern
das Wissen um die gemeinsame Verantwortung und die Bedeutung der
Geselligkeit öffneten den Verein auch für die vielen
Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, die hier eine neue Heimat fanden.
Ich stelle das heute dankbar fest, aber auch die Tatsache, daß im
Liederkranz immer Männer und Frauen waren und sind, die sich über ihre
liebgewordene Sängersache hinaus für andere Aufgaben in unserer
Gemeinde zur Verfügung stellten. Diese freiheitliche Tradition in
unserem Liederkranz gilt es in Zukunft aufrechtzuerhalten und zu
pflegen.
Die modernen Medien haben der Sängersache keinen Abbruch getan. Der
Chorgesang ist ein gutes Korrektiv gegenüber der Mitnehmermentalität
des Rundfunks und des Fernsehens. Das findet auch seinen Ausdruck in dem
Suchen unserer Jugend nach neuen Sinngehalten und zunehmend in ihrem Weg
in die Vereine. Es gehört sicher auch zu den wichtigen Vereinsaufgaben,
diese Entwicklung offen zu verfolgen und zu unterstützen.
Volksmusik und Heimat sind eng miteinander verbunden. Wieviele Lieder
sind ihre Boten! Sie sind Kraftquellen unseres Handelns und Tuns, aber
auch Brücken in Freude und Leid zum Miteinander und Füreinander. Laßt
uns diese Brücken weiter bauen und erhalten! Es geht dabei nicht um -
modern ausgedrückt - Nostalgie, sondern um den inneren Bereich unseres
Empfindens und Erlebens, um die rechte Erfahrung des Lebens. Wo könnte
diese Hinwendung Gleichgesinnter besser und schöner ihren Ausdruck
finden als im gemeinsamen Singen.
Sängerinnen und Sänger sind eine große Gemeinschaft. Um die
Zukunft unseres Liederkranzes brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.
Vorstandschaft und Chorleiter und alle, die mitsingen und heute
mithelfen, sind Garanten dafür. Ihnen allen möchte ich danken und
einen guten Verlauf dieses schönen Festes wünschen.
Wer eine Heimat hat, wer ein so edles und schönes Erbe, wie das
Volkslied und die Volksmusik wahren und erhalten darf, hat einen unschätzbaren
Reichtum zu verwalten und zu erhalten. Und was ist die Pflege der
Volksmusik anderes als die späte Rückgabe einer Liebe, die langsam in
uns erwacht ist. Der französische Sozialist Jaurès sagte:
"Tradition üben, heißt nicht Asche bewahren, sondern die Flamme
weitertragen." Martin Luther, dessen 500sten Geburtstag wir dieses
Jahr feiern können, meinte zur Musik: "Die Musik ist eine schöne,
herrliche Gabe Gottes!"
Laßt uns diese Gabe pflegen und genießen und uns freuen an den
Liedern, die wir heute hören werden und an der großen Sängerkameradschaft,
die in dieser festlichen Gemeinschaft ihren Ausdruck findet. Als
Ausdruck unseres Dankes darf ich dem Jubilar noch ein Geschenk überreichen.
150jähriges Jubiläum des Liederkranz Frickenhausen,
29. Mai 1983
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