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Virtuelles Erich Scherer Archiv
Verabschiedung von Bürgermeister Maisch 1975
Bilanz nach 32 Jahren im Amt
Rede von Erich Scherer
Meine verehrten Damen und Herren!
Zugleich im Namen des Gemeinderates und des Ortschaftsrats darf ich
Sie heute abend hier begrüßen. Ich freue mich, daß sie unserer
Einladung gefolgt sind. Mein besonderer Gruß gilt dem langjährigen
Bürgermeister der Gemeinde Linsenhofen und seit 1. Januar dieses Jahres
dem Ortvorsteher des Ortsteils sowie seiner Gattin. Dieser heutige Tag
bedeutet für ihn den Abschluß einer 45jährigen Tätigkeit im
öffentlichen Dienst, davon 32 Jahre als Bürgermeister und
Ortsvorsteher. Freundlich begrüßen darf ich alle Gäste, Sie, Herrn
Kreiskämmerer Bäuerle, als Vertreter unseres verhinderten Landrats Dr.
Braun und meine Kollegen, Herrn Oberbürgermeister Gonser aus
Nürtingen, die Herren Bürgermeister Gras und Schmidt aus Beuren und
Neuffen und Herrn Schnizler, den Ortsvorsteher und früheren
Bürgermeister von Kappishäusern.
Herr Bürgermeister Maisch beendet mit dem heutigen Tag seine
berufliche Laufbahn und tritt in den wohlverdienten endgültigen
Ruhestand. Er tut es nicht mit überschäumender Freude. Sein Amt, Alter
und Gesundheit haben ihren Tribut gefordert. Es war ein weiter Weg von
Kirchberg/Murr bis hierher. Am 1. April 1930 hat Herr Maisch in
Kirchberg/Murr in einer politisch sehr bewegten Zeit und mit dem
beginnenden wirtschaftlichen Niedergang, verbunden mit einer großen
Arbeitslosigkeit als Lehrling des württembergischen gehobenen
Verwaltungsdienstes begonnen. Nach der Lehr- und Gehilfenzeit und dem
erfolgreichen Abschluß der Verwaltungsschule war Herr Maisch ein halbes
Jahr beim Polizeipräsidium in Stuttgart beschäftigt. Doch nicht lange
hielt er es in Stuttgart aus. Sein Herz schlug für die gemeindliche
Selbstverwaltung. Zweieinhalb Jahre Tätigkeit als Stadtpfleger in
Weilheim gingen der Zeit als Bürgermeister voraus.
Am 1. September 1940 wurde Kollege Maisch auf Vorschlag des Landrats
zum Bürgermeister der Gemeinde Linsenhofen bestellt. So war es
seinerzeit. Mitten in einem Krieg, der so viel Leid und Sorgen über uns
bringen sollte. Nach einer Zwangspause von drei Jahren wurde Herr Maisch
am 8. Februar 1948 mit einer sehr großen Mehrheit nun zum
Bürgermeister gewählt und 1953 und 1965 im Amt bestätigt. Die
Aufgaben und Probleme, die in dieser Zeit auf einen Bürgermeister
einstürmten, waren nicht in einer 40-Stunden-Woche zu lösen. Sie
brauchten den ganzen Mann, die Identifikation mit dem Amt. Das Amt des
Bürgermeisters und seine Aufgaben sind so alt wie die Gemeinden selbst.
Ursprünglich war der Schultheiss oder Vogt, der von der Herrschaft
eingesetzte Sachwalter, dem der Bürgermeister als der Sprecher der
Bürgerschaft gegenüberstand. Im Wandel der Geschichte haben sich
Bedeutung, Befugnisse und Bezeichnung geändert. Ein hohes Zeugnis hat
dem Bürgermeister jener Staatsmann ausgestellt, der dem platonischen
Ideal des Philosophen auf dem Thron am nächsten gekommen ist, Friedrich
der Große, mit der Feststellung, ein halbes Jahr Bürgermeister in
einer kleinen Stadt zu sein, sei für einen Regenten wertvoller als das
Studium der Philosophie. Wenn wir die Auswirkungen der politischen
Entscheidungen auf die Gemeinden der letzten zehn Jahre ansehen, können
wir nur bedauern, daß unsere Politiker und die Ministerialbürokratie
die gemeindliche Selbstverwaltung und ihre Probleme so wenig ernst
nehmen. Weitgehend auf sich selbst gestellt mußten die Bürgermeister
und Gemeinden mit den Riesenproblemen der Nachkriegszeit fertig werden.
Der Bürgermeister ist Inhaber eines gebundenen Berufes. Er ist im
wahrsten Sinne des Wortes eine öffentliche Person, die ständig im
Schaufenster der Öffentlichkeit steht. Wohlbehütet und bewacht. Sein
Verantwortungsgefühl schafft Selbstbindung und fordert Selbstkontrolle.
Das Amt des Bürgermeisters bedarf beträchtlicher, nicht nur
rechtlicher, auch moralischer Kraftquellen.
Aber auch ein Bürgermeister ist ein Mensch mit all seinen
Widersprüchen. Es wäre Heuchelei, von einem Menschen und seinem Tun
immer nur das Beste zu verlangen, denn alles Menschenwerk ist
Stückwerk. Und so zeichnen einen Bürgermeister auch die Eigenschaften
aus, die Max Weber von einem Politiker erwartet: Leidenschaft,
Augenmaß, die Fähigkeit die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe
auf sich wirken zu lassen, also Distanz zu den Dingen und Menschen, wie
auch Ausdauer, den als richtig erkannten Weg zu gehen. So gesehen ist
Kommunalpolitik ein starkes, langsames Bohren von manchmal sehr harten
Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß. Aber auch für den
Bürgermeister gilt das Sprichwort: Allen Menschen Recht getan,ist eine
Kunst, die niemand kann.
Zur Stellung des Bürgermeisters hat Bürgermeister Eberhard aus
Gerlingen, der Geburtsstadt von Bürgermeister Maisch, vor kurzem einige
fast humorvolle Ausführungen gemacht. Er sagte u.a.: Heute wird vom
Bürgermeister verlangt, daß er ein tüchtiger, erfahrener, die
mannigfachen Verwaltungsgeschäfte selbständig erledigender, aber auch
auf den Gebieten der Stadt- und Verkehrsplanung, des Straßen-, Schul-,
und Wohnungsbaues versierter Mann ist, der auch von der Feuerwehr, der
Müllbeseitigung, der Wasserversorung, der Landwirtschaft, dem
Friedhofswesen, der Jugend-, Alten-, und Kulturpflege etwas versteht,
daß er ein Mann ist, der sich in den Bestimmungen des Jagd- und
Fischereirechtes, in der Bauordnung, dem Paß- und Ausländerrecht, dem
Lastenausgleich, der Rentengesetzgebung, selbstverständlich in der
Gemeindeordnung, im Strafgesetz, kurzum in allen alten und neuen
Verordnungen souverän auskennt. Man könnte sicher die Liste noch
erweitern. Ich möchte es dabei bewenden lassen. Auch so reichen seine
Aufgaben, um einen Mann voll in Anspruch zu nehmen. Als Bürgermeister
einer Gemeinde unserer Größe ist er schon Mädchen für alles,
manchmal auch alle, Standesbeamter, Gemeinderatsvorsitzender,
Grundstücksmakler, Sport- und Vereinsförderer und schließlich noch
Friedensrichter alten Stils. Oft steht der Bürgermeister so zwischen
dem Anspruch des Bürgers und seiner gesetzlichen Verpflichtungen, bzw.
dem Anspruch des Staates. In einer offenen und flexiblen Gesellschaft
von heute hat der Bürgermeister weniger denn je die Legitimation, sich
in das Schneckenhaus der Paragraphen zurückzuziehen. Er wird versuchen
müssen, die sachliche, menschliche Seite zur Grundlage seines Handelns
zu machen.
Es ist heute nicht meine Aufgabe, die Arbeit von Herrn Bürgermeister
Maisch im einzelnen zu würdigen. Diese Aufgabe hat auf meine Bitte hin
Herr Gemeinderat Adolf Trost, als langjähriger Gemeinderat in
Linsenhofen und damit Weggefährte übernommen. Einige gemeinsam
gelöste Aufgaben und Probleme aber sind es, die meinen Berufsweg, aber
auch die Gemeinden Linsenhofen und Frickenhausen besonders beeinflußt
haben. Da war zuerst die gemeinsame Sorge, das gemeinsame Problem des
Wassernotstandes. Hier galt unser gemeinsames Bemühen nach
verschiedenen Versuchen, kleine Jusigruppen, große Jusigruppe,
Anschluß an die Filderwasserversorgung, der Gründung der
Blau-Lauter-Gruppe, der beide Gemeinden als Gründungsmitglieder
angehören, und in deren Verwaltungsrat Herr Bürgermeister Maisch
unsere Interessen jahrelang vertreten hat. Und da ist das Problem der
Hauptschule, das durch die Gründung des Schulverbandes zusammen mit
Tischardt und den Bau der Hauptschule in Frickenhausen, wenn auch nach
manchen Schwierigkeiten, zur Zufriedenheit aller gelöst werden konnte.
Ich darf hier noch den Ausbau der L 1250 erwähnen und damit zusammen
den Ausbau zweier Feldwege und der Ortsbeleuchtung. Immer wieder gab es
Berührungspunkte, die ein gemeinsames Handelns erforderten.
Das größte und schwierigste und für Herrn Bürgermeister Maisch
auch persönlich das folgenschwerste Problem war die Gemeindereform und
die Eingliederung der Gemeinde Linsenhofen in die Gemeinde
Frickenhausen. Seit ersten Januar gehören wir nun zusammen. Ich kann
die bisherige Zusammenarbeit nur als sehr gut bezeichnen. Am 20. Juni
1974 haben wir die Vereinbarung unterzeichnet. Ich habe seinerzeit u.a.
ausgeführt: "Wenn man dieses Ergebnis unserer Verhandlungen
ansieht, scheint es, als wäre der heutige Tag für alle Beteiligten ein
Tag der Freude. Das ist er leider nicht. Es ist ein Tag der Einsicht in
ein Schicksal, das wir nicht aufhalten und auch nicht mehr ändern
könen. Ich weiß auch, daß es für meinen Kollegen Maisch sehr schwer
war und ist, diesen Weg gehen zu müssen."
Er hat sich vom 1. Januar 1975 an bis heute als Ortsvorsteher zur
Verfügung gestellt und dadurch die Überleitung und Zusammenführung
leicht gemacht. Er hat diese Aufgabe als Dienst an den Bürgern von
Linsenhofen gesehen. Ich hätte es sehr gerne gesehen, wenn Herr Maisch
dieses Amt bis zum Ende seiner Wahlperiode beibehalten hätte. Das war
nicht möglich. Wir müssen seine Entscheidung respektieren.
Mir bleibt in dieser Stunde, Ihnen Herr Maisch für Ihre Arbeit, für
Ihren Einsatz, für die kameradschaftliche und vertrauensvolle
Zusammenarbeit im Namen des Ortschaftsrates, des Gemeinderates, unserer
Beamten und Angestellten, aber auch ganz persönlich sehr herzlich zu
danken und Ihnen noch viele Jahre im wohlverdienten Ruhestand bei
einigermaßen guter Gesundheit zu wünschen. In diesen Dank und in diese
Wünsche darf ich Sie, Frau Maisch, besonders einschließen. Wer wüßte
nicht, wieviele Stunden die Frauen der Bürgermeister auf ihren Mann
verzichten müssen. Als Ausdruck unseres Dankes und unserer Anerkennung
darf ich Ihnen, Herr Maisch, ein Zinnservice überreichen. Ich hoffe,
daß Sie Gelegenheit finden, daraus in mancher frohen Stunde einen edlen
Tropfen zu trinken.
Ich möchte den Kreis meiner Gedanken abschließen mit einem
Dichterwort des Römers Seneca, der vor fast zweitausend Jahren sagte:
"Der Lohn eines Amtes ist das Amt selbst." Ich danke Ihnen.
31. Oktober 1975
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