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Virtuelles Erich Scherer Archiv
Einweihung des Rathauses 1969
Am Schnittpunkt von heute und morgen
Rede von Erich Scherer
Verehrte Gäste, liebe Frickenhäuser Bürgerinnen und Bürger!
Meine Damen und Herren!
Mit zu den seltensten Ereignissen in unserer Gemeinde gehört die
Einweihung eines neuen Rathauses. Auf dem Kellerschlußstein unseres
alten Rathauses stand die Jahreszahl 1567. 400 Jahre sind seit dem
vergangen. Frickenhausen hatte damals rund 400 Einwohner; heute fast
4.600. In schicksalsschwerer Zeit hat dieses Haus seinen Dienst getan.
Das neue Rathaus ist auf- und eingerichtet und wartet auf seine
künftigen Aufgaben.
Wir freuen uns, daß Sie mit uns diesen festlichen Tag begehen und
damit an unserer Freude teilhaben. Als Gäste darf ich sehr herzlich
begrüßen: Herrn Bundestagsabgeordneten Dr. Stark, Landtagsabgeordneter
Dr. Röhm, Landrat Dr. Schaude, Hern Dipl. Ing. Ellsässer vom
Preisgericht, Herrn Hauptkommissar Dürr, Vermessungsrat Vetter, Reg.
Vet. Rat Dr. Trautwein, Dr. Klipstein, Herrn Heinrich Schöll,
Oberbürgermeister Gonser, Bürgermeister Möhrle, Bürgermeister Gras,
Bürgermeister Schmid, unseren früheren Mitarbeiter Handel,
Pressereferent Volz, Vertreter der Kirchen, Pfarrer, Vertreter der
Schule, Rektor Hahn, Vertreter der Vereine, die früheren Gemeinderäte,
Architekt Höflinger mit Frau, Sonderfachleute, Handwerker und Vertreter
der am Bau beteiligten Firmen, Vertreter der Presse, Männer von der
Feuerwehr.
Der Bau eines neuen Rathauses in unserer Gemeinde hat eine lange
Geschichte. 1912 stand das Problem Erweiterung des Rathauses zum ersten
Mal auf der Tagesordnung des Gemeinderats, 1930 wurden baufertige Pläne
ausgearbeitet. War es zuerst der 1. Weltkrieg und die Inflation, die
eine Realisierung verhinderten, so waren es später die Wirtschaftskrise
und die Arbeitslosigkeit in den 30er Jahren. Nach dem 2. Weltkrieg galt
es, zuerst die Grundeinrichtungen auszubauen und die Wohnungsnot zu
beseitigen. Gemeinderat und Gemeindeverwaltung waren sich trotz der
räumlichen Enge darüber einig, daß an einen Rathausneubau erst
gedacht werden könne, wenn jede Familie eine Wohnung habe. Im
Haushaltsplan 1956 wurde dann die erste Rate der Rathausbaurücklage in
Höhe von 1,00 DM zugeführt. Damit hatte das Rathaus im Aufgabenkatalog
der Gemeinde einen Platz bekommen. Regelmäßig wurden nun jedes Jahr
weitere Mittel der Rathausbaurücklage zugeführt, so daß die Rücklage
bei Baubeginn die Höhe von 1,4 Millionen DM erreicht hatte. Die
Finanzierung war damit gesichert.
Eine ganz entscheidende Frage war: Wo soll das neue Rathaus erstellt
werden? Sowohl unter der Bevölkerung, wie auch in der Nürtinger
Zeitung und im Gemeindemitteilungsblatt entwickelte sich eine sehr rege
und erfreuliche Diskussion. Durch Beschluß des Gemeinderats vom 23.
Februar 1962 erhielt Architekt Vetter den Auftrag zu untersuchen, ob auf
dem Kelterplatz und auf dem jetzigen Platz das Raumprogramm erfüllt
werden könnte. Gleichzeitig wurde das Regierungspräsidium, wie auch
die Bauberatungsstelle um eine gutachtliche Äußerung gebeten. Alle
drei Untersuchungen hielten die Erstellung des Rathauses auf beiden
Plätzen für möglich. Das Regierungspräsidium, wie auch die
Beratungsstelle für Bebauungspläne kamen jedoch übereinstimmend zu
dem Ergebnis, daß diesem Platz der Vorzug zu geben sei. Im Gegensatz zu
dem im Gemeindebesitz befindlichen Kelterplatz biete sich dabei - neben
einer verkehrsmäßig und ortsgeographisch zentraleren, jedoch
gleichzeitig ungestörteren Situation und einer der Bedeutung des
Rathauses wohl noch würdigeren Umgebung - die einmalige Chance, eine an
dieser Stelle im Zusammenhang mit der Verlegung der Brücke im Zuge der
K 720 über die Steinach ohnedies eine notwendige bauliche Neuordnung
mit ausreichendem Grund und in städtebaulich großzügiger und
lohnender Weise vornehmen zu können. Gegen den Kelterplatz sprachen
zudem der starke Durchgangsverkehr. Am 4. Mai 1962 faßte der
Gemeinderat den Beschluß, das neue Rathaus an dieser Stelle zu
errichten und die noch benötigten zwei Gebäude zu erwerben. In einer
Bürgerversammlung am 26. Oktober 1962 fand dieser Beschluß die
Zustimmung. Am 7. August 1964 konnten die Kaufverhandlungen endgültig
abgeschlossen werden.
Der Ausschreibung eines öffentlichen Bauwettbewerbs zur Erlangung
von Entwürfen für den Neubau eines Rathauses mit Räumen für die
Feuerwehr und die Post stand nun nichts mehr im Wege. An dem Wettbewerb
beteiligten sich 37 Architekten aus den Kreisen Nürtingen, Esslingen
und der Stadt Stuttgart. Das Preisgericht, dem als Fachpreisrichter Reg.
Baumeister Karl Ellsässer, Dipl. Ing. Werner Gabriel, Dipl. Ing. Carl
Herbert Frowein, Dr. Ing. Siegfried Haag, Kreisbaumeister Rapp, als
Sachpreisrichter Landrat Dr. Schaude, Bürgermeister Scherer,
Gemeinderat und Handelsvertreter K. Henzler, Gemeinderat und Fabrikant
E. Wohlhaupter, als Sachverständiger Berater ohne Stimmrecht im
Hinblick auf die Kirche Hauptkonservator Dr. Walter Supper, als
Vorprüfer Herr Adolf Hohler vom Kreisplanungsamt Nürtingen
angehörten, tagte am 31. Mai und 1. Juni 1965 im Jugendhaus. Einstimmig
entschied sich das Preisgericht für den Entwurf von Herrn Architekt
Höflinger aus Kirchheim, dem auch der endgültige Auftrag erteilt
wurde.
Zur Wettbewerbsaufgabe wurde in den Erläuterungen des Ausschreibens
gesagt: Das neue Rathaus soll ein Haus des Bürgers und Ausdruck des
Bürgersinns sein, modern, aber nicht modisch, gediegen, aber nicht
aufwendig. Eine wirtschaftliche Lösung soll angestrebt werden. Mit dem
Rathausneubau soll gleichzeitig eine Sanierung des Ortskerns und eine
Neugestaltung erreicht werden. Ob diese Aufgabe gelöst wurde, können
Sie selbst heute beurteilen. Nach Erteilung der baurechtlichen
Genehmigung am 19. Oktober 1966 wurde durch die Firmen Krieg und Rist in
Arbeitsgemeinschaft mit den Bauarbeiten begonnen. Das Richtfest konnte
am 23. September 1967 gefeiert werden. Die Räume an das Postamt wurden
am 8. November 1968, an die Feuerwehr am 26. November 1968 übergeben.
Post und Feuerwehr waren genau so beengt untergebracht, wie die
Gemeindeverwaltung. Das Ortsbauamt wurde am 2. Januar 1969 in den Neubau
verlegt, die Verwaltung und die Landespolizei zog am 28. April um. Damit
war nun die Möglichkeit geschaffen, das alte Rathaus abzubrechen, den
Rathausplatz zu vervollständigen, die Parkplätze anzulegen und die
Mittlere Straße endgültig auszubauen. Wir hoffen, daß die Anlieger
der Mittleren Straße die mit den Bauarbeiten verbundenen
Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten bald vergessen und sich mit uns
über die schöne Straße freuen.
Der Rathausneubauplanung liegt eine Einwohnerzahl von 6.500
Einwohnern zu Grunde. Nach der Faustregel werden für einen Einwohner 1
cbm umbauter Raum benötigt. Der tatsächliche umbaute Raum umfaßt
6.700 cbm. Gemeinderat, Gemeindeverwaltung, Grundbuchamt, Polizei, Post
und Feuerwehr sind nun gut und ausreichend untergebracht, damit wurde
aber auch eine wirtschaftliche Lösung erreicht. Die Baukosten sollten
nach dem Kostenanschlag 1,6 Millionen DM betragen. Die endgültige
Schlußabrechung liegt noch nicht vor. Die Kosten werden sich durch die
Einführung der Mehrwertsteuer und Lohnerhöhungen um ca. fünf bis
sechs Prozent erhöhen. Die Finanzierung ist erfolgt durch eigene Mittel
(Rathausbaurücklage 1,4 Millionen DM, Beitrag des Landes zu den
Feuerwehrräumen 35 000 DM, Darlehen der Post 132 000 DM, Schuldaufnahme
für die Feuerwehr 80 000 DM).
Bei einer nochmaligen Überprüfung der Aufschüttung des
Rathausplatzes beschloß der Gemeinderat, diesen Raum durch Schaffung
von 12 Einstellplätzen und eines Lagerraumes auszunutzen. Wir sind
heute froh darüber.
Mit der Vollendung dieses Rathauses, das nun auf viele Jahre hinaus
der bürgerschaftlichen Selbstverwaltung unserer Gemeinde dienen soll,
geht ein langgehegter Wunsch unserer Bürgerschaft in Erfüllung. Wir
kommen bei unseren Entscheidungen nicht darum herum, an die Zukunft zu
denken. Wir stehen am Schnittpunkt von heute und morgen. Unsere
Entscheidungen werden immer auch ihre Auswirkungen für die
nachfolgenden Generationen haben. Architekt, Gemeinderat und
Gemeindeverwaltung haben sich bei dieser Bauaufgabe bemüht, nicht nur
in den Kategorien ihrer Generation zu denken, vielmehr versucht, den
Bezug zur künftigen Entwicklung herzustellen.
Zu allen Zeiten haben die Rathäuser der Städte und Gemeinden
Zeugnis der kommunalen Selbständigkeit, ihrer Mündigkeit und ihres
bürgerschaftlichen Geistes abgelegt. Aus dieser Bedeutung des Rathauses
ergeben sich für die Bauaufgabe und seine Gestaltung ganz bestimmte
Konsequenzen. Ein Rathaus ist mehr als ein Zweckbau. Seine Aufgabe
bestimmt seine Gestalt. Es soll Ausdruck der Zeit, ihrer Dichte und
Schwere sein. Unser neues Rathaus hat eine dreifache Aufgabe zu
erfüllen, eine städtebauliche, eine organisatorische und eine
politische.
Die städtebauliche Aufgabe wird bestimmt durch die Schaffung eines
Ortszentrums zusammen mit dem Rathausplatz und der Kirche. Es muß
ortsgeographisch richtig liegen und künftigen Entwicklungen gerecht
werden können, daneben aber auch Ausstrahlung auf die künftige
Ortssanierung haben.
Die organisatorische Funktion bezieht sich auf die Aufgabe seiner
Räume und ihre praktische Verwendbarkeit. Es galt, Verwaltungsräume zu
schaffen, die den heutigen Ansprüchen an einen modernen, sauberen
Arbeitsplatz genügen, einen reibungslosen Arbeitsablauf gewährleisten,
andererseits aber auch neuen Ansprüchen und Techniken angepaßt werden
können.
Die Sichtbarmachung der politischen Funktion ist sicher der
schwierigste Teil der Aufgabe. Gerade der Wettbewerb hat gezeigt, wie
sehr diese Aufgabe vernachlässigt wurde. Der gemeindlichen
Selbstverwaltung und Verantwortung, der gemeindlichen Demokratie
Ausdruck zu geben und ihre Funktionierung zu ermöglichen, kommt
besondere Bedeutung zu. Schon Alexis de Toqueville hat die Bedeutung der
kommunalen Institutionen sehr klar erkannt, wenn er nun vor über 100
Jahren sagte: "Ohne kommunale Institutionen kann sich ein Volk eine
freie Verfassung geben, aber es besitzt nicht den Geist der F r e
i h e i t. " Wir sind davon überzeugt, daß unser neues Rathaus
diese Funktionen gut erfüllt. Die einzelnen Aufgaben sind gestalterisch
und durch die Art der Baustoffe klar abzulesen.
Ich freue mich, festellen zu dürfen, daß alle Fragen, die mit der
Planung und Bauausführung dieses Rathauses zusammenhingen, im
gegenseitigen Verständnis gelöst werden konnten. Das harte Ringen um
manches Detail zeigte die Verantwortung, mit der alle Beteiligten sich
um eine gute Lösung bemühten.
Daß der Humor nicht zu kurz kam, - man sprach von einem goldenen
Dachl - und daß auch Kritik laut wurde, ist erfreulich und zeigt das
rege Interesse der Bevölkerung. Wir sind durchaus der Meinung, daß
sachliche Kritik ein Baustein lebendiger Demokratie und Ausdruck eines
mitdenkenden und mitverantwortlichen Bürgersinns ist. Wir haben sie als
Element des gemeinsamen Ringens um die bestmögliche Lösung des
Rathauses angesehen. Wir hoffen sehr, daß der neue Sitzungsaal viele
Bürger unserer Gemeinde ermuntert, sich durch Teilnahme an den
Sitzungen des Gemeinderats direkt zu informieren. Im alten Sitzungssaal
haben unsere Bürger die Teilnahme zu Recht als Zumutung empfunden.
Ich glaube, wir haben Grund genug, allen am Neubau des Rathaueses
Beteiligten unseren herzlichen und verbindlichen Dank zu sagen. Den
Familien Diez, Erb, Schlegel und Weber, die die Grundstücke für den
Rathausbauplatz zur Verfügung gestellt haben, - Wir bedauern sehr, daß
Herr Fritz Weber durch seinen frühen Tod heute nicht unter uns sein
kann, - den Grundstücksnachbarn und den Anliegern der Mittleren Straße
für ihr Verständnis während der Bauzeit, den Mitgliedern des
Preisgerichts für ihre ausgezeichnete Beurteilung der
Wettbewerbsarbeiten, Herrn Dr. Haag für seine planerischen Ratschläge,
unserem Architekten, Herrn Höflinger, für seine Hingabe, seine große
Verantwortung für dieses Bauwerk und seine Durchführung. Wir danken
ihm für die sehr gute Zusammenarbeit und für die exakte Planung und
Bauleitung den Sonderfachleuten: Herrn Dipl. Ing. Bobran für die
bauphysikalische Beratung, Herrn Banzhaf für die Ausführung der
Statik, Herrn Schwarz für die Projektierung der Stark- und
Schwachstromanlagen, der Planungsabteilung der Fa. Stumpf & Müller
für die Projektierung der Heizungs- Sanitär- und Be- und
Entlüftungsanlagen, für die gute Beratung aller am Bau beteiligten
Handwerkern und Baufirmen. Sie haben eine saubere und handwerksgerechte
Arbeit geliefert; davon können wir uns heute alle überzeugen.
Zwischen Architekt, Sonderfachleuten, Handwerkern und Bauherrschaft
hat sich während der Bauzeit ein echtes partnerschaftliches Verhältnis
gebildet, das dem Rathausbau sehr zustatten kam.
Bedanken möchte ich mich aber auch bei unseren Putzfrauen und meinen
Mitarbeitern für die große Geduld bis zum Einzug in unser neues
Rathaus und für die Unterstützung. Die Feststellung, daß während der
gesamten Bauzeit sich kein Unfall ereignete, erfüllt uns mit besonderer
Freude und Genugtuung.
Es wird uns nicht lange Zeit zum Ausruhen bleiben. Weitere
Bauaufgaben werden uns in den nächsten Jahren in Anspruch nehmen. Das
Sportzentrum geht seiner Vollendung entgegen, mit der biologischen
Kläranlage wurde begonnen; nach vier Jahre langen
Grundstücksverhandlungen konnte vor kurzer Zeit nun der
Hauptschulverband mit unseren Nachbargemeinden gebildet werden. Die
Planung für das neue Schulhaus ist abgeschlossen, die Genehmigung
erteilt. Sobald der Staatsbeitrag zugesagt ist, werden die Bauarbeiten
beginnen können. Diese Aufgaben bedürfen der Unterstützung und
Mithilfe der Bevölkerung.
Wir wissen, wie schwierig es heute ist, den Bürger zu
verantwortlicher Mitarbeit in der Gemeindepolitik zu gewinnen. Das
demokratische Leben beginnt in der Gemeinde. Wir alle haben eine
Verantwortung und damit den Auftrag zum Handeln, zur Lösung von
Aufgaben, die das Gesamtinteresse von uns fordert. Die ist keine Frage
allein des Wollens, sondern eine Frage der Verpflichtung der Gemeinde
dem Mitbürger gegenüber. Mögen sich immer wieder Männer und Frauen
finden, die in diesem Haus wirken werden zum Wohl der Gemeinde und ihrer
Bürger in Frieden und Freiheit!
19. Juli 1969
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