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Virtuelles Erich Scherer Archiv
77 Jahre SPD Frickenhausen 1982
Verbindendes über Trennendes stellen
Rede von Erich Scherer
Frau Präsidentin Renger, meine Damen und Herren!
Es ist ein etwas ungewöhnliches Fest, das wir heute feiern, "77
Jahre SPD-Ortsverein Frickenhausen-Linsenhofen". Es ist dem
geduldigen und gründlichen Suchen der Ortsvorsitzenden, Frau Bregenzer
zu danken, daß wir heute wissen, daß vor nunmehr 77 Jahren - vor zwei
Jahren wären es die traditionellen 75 Jahre gewesen - in unserer
Gemeinde ein Ortsverein gegründet wurde. So ist die Geschichte des
Ortsvereins in Freud und Leid auch Gemeindegeschichte geworden. In
dieser Zeit haben eine ganze Zahl Mitglieder des SPD-Ortsvereins als
Bürger im Gemeinderat und den Vereinen mitgearbeitet und Verantwortung
getragen. Und es spricht für den demokratischen Geist und die gute
Zusammenarbeit in den Gremien, daß davon selten die Rede war. Und
obwohl wir bis zur Gemeindereform keine Parteilisten hatten und die SPD
nicht über die Mehrheit verfügte, war der Ortsvorsitzende der SPD
viele Jahre lang mein Stellvertreter im Amt.
Frickenhausen galt vor der Jahrhundertwende als die ärmste Gemeinde
im Neuffener Tal. Eine sehr große Zahl ihrer Söhne und Töchter mußte,
weil es hier keine Arbeit und Brot gab, vor allem nach Amerika
auswandern. Ja es war so schlimm, daß es billiger war, die Überfahrt
nach Amerika auf Schulden zu bezahlen, als all die hungrigen Mäuler
hier zu ernähren. Das änderte sich schlagartig um die Jahrhundertwende
mit dem Bau der Eisenbahn im Täle und der Ansiedlung der Weberei
Melchior, der Ziegelei und Jahre später der Bachertschen Schuhfabrik.
Die Einwohnerzahl stieg von 1900 bis zum Kriegsbeginn von rund 1200 auf
1600 Einwohner. Die Steigerung war durch den Arbeitskräftebedarf der
Industrie bedingt und erfolgte hauptsächlich durch Zuzug. Die rege
Bautätigkeit auf den Kelteräckern und im Aile zeugen davon. In diese
Zeit fällt auch die Gründung Ihres Ortsvereins. Ausdruck dieser Zeit
war aber auch, daß sich neben den Jahnschen Turnern nun auch ein
zweiter Turnverein bildete, der dann aber im alten Turnverein aufging.
Die Zeit nach dem Krieg bis 1933 war mit vielen schwierigen
kommunalen Problemen belastet, wenn man in den Protokollen des
Gemeinderats nachliest.
Schon bald nach Ende des Krieges entwickelte sich, wenn auch anfangs
unter den Fittichen der amerikanischen Militärregierung, neues
politisches Leben. Bei der Gemeinderatswahl 1946 kandidierte mit Erfolg
eine Liste der SPD. Von 1947 bis zur Eingliederung der Gemeinde
Linsenhofen 1975 kandidierten in allen drei Ortsteilen nur allgemeine
Listen bzw. fand Mehrheitswahl statt. Seit 1975 haben wir, auch wenn in
der Gemeindeordnung nicht vorgesehen, Fraktionen der CDU - BWV und der
SPD im Gemeinderat. Wenn ich auch früher die Meinung vertreten hatte,
in so kleinen Gemeinden sollte auf dem Rathaus möglichst wenig
Parteipolitik betrieben werden, so haben die Fraktionen doch als
Bindeglied der drei Ortsteile gute Arbeit in den letzten Jahren
geleistet. Die Erfolge unserer Gemeinde, die gute Ausstattung, die
Infrastruktur und die gute Haushaltslage sind Ausdruck und Beweis einer
guten, über alle Egoismen und Gruppeninteressen wirkende,
vertrauensvolle und sachliche Zusammenarbeit aller im Gemeinderat
vertretenen Gruppen, vor allem aber der Personen, der Bürgerinnen und
Bürger. Ich glaube, wir sind hier in einer glücklichen Situation, auch
wenn wir uns nicht immer und in allen Fragen einig sind.
Nach unserem Grundgesetz kommt den politischen Parteien große
Bedeutung zu. In einer mittelbaren Demokratie liegt die Gestaltung der
Politik vor allem bei den politischen Parteien. In dem Gesetz über die
politischen Parteien sind die Parteien in unserem Staat ausdrücklich
als verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlichen,
demokratischen Grundordnung anerkannt worden. Ihre besondere Aufgabe
besteht in der freien, dauernden Mitwirkung an der politischen
Willensbildung des Volkes.
Wie schwierig das sein kann, zeigt uns die heutige politische
Landschaft in unserem Staat. Wir haben nach dem Krieg unser Land unter
schwersten Bedingungen wieder aufgebaut, 12 Millionen Heimatvertriebenen
eine neue Heimat, Wohnungen und Arbeitsplätze gegeben. Deshalb muß es
auch möglich sein, die bestehenden wirtschaftlichen Probleme zu lösen.
Das wird dann leicht möglich sein, wenn wir das Gemeinsame, das uns
Verbindende über das Trennende stellen. Oft gewinnt der Bürger den
Eindruck, daß das Bemühen unserer Politiker weniger um gemeinsame
Lösungen von uns bedrückenden Problemen, als um die Schuldzumessung an
ihrer Nichtlösung bzw. an der Unmöglichkeit des Konsenses geht.
Spendable Politik allein schafft noch kein Vertrauen. Und ohne Vertrauen
geht nichts.
Und es ist gerade für uns Ältere eine besorgte alte Frage, ob eine
Generation, wir heute, aus den Erfahrungen einer anderen zu lernen
vermag, oder ob sie alles selbst aufs Neue erleben und erleiden muß.
Hier wird eine große Schwierigkeit sichtbar, die Tradition, die Gründe
für geschichtliche Entwicklungen, für das Gewachsene und Gewordene
unseren Söhnen und Töchtern zu vermitteln, es ihnen erfahrbar zu
machen. Und wir müssen uns selbst fragen, ob wir uns von den realen
Erfordernissen des Wiederaufbaues haben nicht zu sehr beanspruchen
lassen und damit dem übertriebenen Egoismus, dieser wie man hört,
Mitnehmergesellschaft Vorschub geleistet haben. Der Mensch lebt nicht
vom Brot allein. Ich habe manchmal das Gefühl, daß wir's wieder
lernen.
Vor einigen Tagen war in der Presse folgender Satz zu lesen:
"Die Ratlosigkeit, in der wir mit all unserem Können und mit
unserem materiellen Überfluß geraten sind, beruht darauf, daß wir den
tieferen Hunger allzusehr vergessen, der durch materielle Leistungen
nicht zu befriedigen ist" (Ratzinger). Wir werden künftig unsere
Wünsche am Möglichen, Erreichbaren, am Finanzierbaren messen müssen.
Und wenn wir morgen glücklich leben wollen, darf mit der bisherigen
Erwartungshaltung zum wirtschaftlichen Möglichen, zu Technik und
Fortschritt nicht unbesonnen in die Zukunft hineingegangen werden. Wir
müssen sicher die ethischen Zusammenhänge deutlicher sehen und auch
deutlich machen. Dazu gehört sicher auch, daß wir unserer gemeinsamen
Verantwortung über alles Trennende hinweg bewußt werden und nach Wegen
suchen, die wir miteinander und nicht gegeneinander gehen können.
Wenn wir uns immer strebend bemühen, wird uns auch der Erfolg zuteil
werden. Das sei auch mein Wunsch für die Zukunft Ihres Ortsvereins.
77jähriges Jubiläum der SPD Frickenhausen, 26. März 1982
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