Virtuelles Erich Scherer Archiv
Aus seiner Amtstätigkeit
Zeichen der Zeit
In seiner 38jährigen Dienstzeit als Bürgermeister hat Erich Scherer
das Geschehen in Frickenhausen nachhaltig geprägt. Er gab Anstöße
für den Aufbau und organisierte das Leben in der Gemeinde. Seine
Planungen wurden für viele Bürgerinnen und Bürger zur Orientierung in
eine neue Zukunft. Sein persönlicher Einsatz für Frickenhausen ließ
in ihnen Zuversicht und pragmatische Hoffnung aufkeimen. Nachfolgend
soll deshalb ein kurzer Rückblick auf die Jahre des Aufbaus und des
weiteren Wachstums Frickenhausens unter der Federführung des
Bürgermeisters Scherer gehalten werden.
Ein neuer Anfang
In den ersten Nachkriegsjahren standen Verwaltung und jeder Einzelne
vor großen Problemen. Es fehlte praktisch an allem. Nahrungsmittel gab
es weiterhin nur gegen entsprechende Zuweisungen in Gestalt von
Lebensmittelkarten. Die täglichen Rationen bestanden aus 440 Gramm
Brot, 440 Gramm Kartoffeln, 5 Gramm Margarine und 5 Gramm Käse. Nur
Kinder bis zu 6 Jahren erhielten Zucker, zwischen 5 und 50 Gramm pro
Tag. Große Sorgen bereitete die unzureichende Wasserversorgung – im
heißen Sommer 1949 gab es nur 12 l pro Person und Tag. Durch die
schlechte Wasserqualität kam es zu Typhusepidemien. 1948 hatten die
sozialen Verbände und Einrichtungen, wie der Krankenpflegeverein und
der VDK (Kriegsbeschädigte) kein Geld mehr und konnten nur mit
Zuschüssen der Gemeinde ihre Arbeit fortführen. Nach der
Währungsreform mußte die Gemeinde mit einer Erstausstattung von
12.707,44 DM neu anfangen. Sämtliche Ersparnisse und Rücklagen fielen
weg. Doch gab es auch hoffnungsvollere Zeichen des Neubeginns: Im Juli
1948 wurde erstmals ein Kinderfest abgehalten. 1949 fand die erste
Altenfeier in der Gaststätte 'Lamm' statt. Jede Teilnehmerin und jeder
Teilnehmer erhielt ein Viertele gratis.
1948 galt als das Jahr des demokratischen Aufbaus. 1945 wurden
Bürgermeister und Gemeinderat von den Amerikanern ab- und ein
kommissarischer Amtsträger eingesetzt. Am 27.1.1946 kam es endlich zu
freien – vorläufigen – Gemeinderatswahlen. Die Amtszeit war
zunächst auf zwei Jahre begrenzt. Am 7.12.1947 folgten die ordentlichen
Wahlen zum Gemeinderat. Es geschah nach dem bis in die 70er Jahre
geltenden sogenannten "rollierenden System": Die Amtszeit
eines Gemeinderates betrug sechs Jahre, alle drei Jahre wurde die
Hälfte des Gemeinderats neu gewählt. Im Februar 1948 wählte die
Bevölkerung zum ersten Mal seit der Machtübernahme der
Nationalsozialisten ihren Bürgermeister selbst. Die erste öffentliche
Bürgerversammlung fand man am 14. Dezember 1948 im Gasthaus 'Lamm'
statt. 1954 führte die Gemeinde ein wöchentliches Mitteilungsblatt
ein, das in Eigenregie herausgegeben wurde.
Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge
Ein Ereignis von gewaltigen Ausmaßen, die Flucht und Vertreibung von
Millionen Deutschen aus Ost- und Südosteuropa, wirkte bis in die
einzelnen Gemeinden hinein. Hatte es anfangs geheißen, jede Gemeinde
müsse 10 Prozent, später 20 Prozent ihrer Einwohnerzahl – gemessen
am rechnerischen Stand von 1939 – aufnehmen, so waren es schließlich
in Frickenhausen rund 1.000 Kriegsflüchtlinge und Heimatvertriebene
geworden, d.h. mehr als die Hälfte der bisherigen Bevölkerung.
Zunächst mußten die Menschen untergebracht werden. Es wurden
Kommissionen gebildet, die von Haus zu Haus gingen und feststellen
sollten, wo noch Platz vorhanden wäre. Dies führte zu viel Ärger und
Streitigkeiten, denn kaum jemand war bereit, völlig fremde Personen ins
eigene Haus zugewiesen zu erhalten. Viele der Flüchtlinge konnten nur
provisorisch in Garagen und Baracken unterkommen. Von der Enge des
Wohnens läßt sich eine Vorstellung gewinnen, wenn man hört, daß in
einem einzigen Raum vier oder mehr Menschen wohnen, kochen und schlafen
sollten.
Allmählich jedoch gewöhnten sich die Einheimischen an die Fremden,
halfen ihnen mit Kleidern, Möbeln und erkannten, daß die neuen Bürger
Menschen wie Du und Ich waren. Die Frauen mit den auf besondere Art nach
hinten gebundenen Kopftüchern gehörten nun mit zum Straßenbild. Da
und dort schlich sich etwas von den Koch- und Backbräuchen der neuen in
die einheimische Küche ein. Gemeinsames Arbeiten und Bauen taten ein
übriges, die anfänglichen Barrieren zu überwinden. So integrierten
sich die Neubürger im Lauf der Zeit in die örtliche Gemeinschaft.
Wohnungsbau
Neben den Sorgen eines jeden Einzelnen um Ernährung und Kleidung war
die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum eines der brennendsten
Probleme. Waren die Wohnverhältnisse in Frickenhausen ohnehin nicht
gerade großzügig, so entstand durch die Unterbringung der vielen
Hundert Vertriebenen ein beinahe unüberwindbarer Wohnungsmangel.
Statistisch gesehen gehörte Frickenhausen zu den Orten
Nordwürttembergs mit der größten Wohnungsnot: Sie lag 28 Prozent
über dem Landesdurchschnitt. Durch die Zwangsbewirtschaftung von
Wohnraum entstand viel Ärger und Feindschaft. Dennoch gab es keinen
Zweifel bei Bürgern und Verwaltung – es mußte gebaut werden. Dabei
spielte die Frage der Finanzierung natürlich die Hauptrolle. Ein
einfaches Haus kostete 1949 zwischen 16.000 DM und 17.000 DM. Bereits
1948 beschloß die Gemeinde einen beispielgebenden Wohnungsplan:
Sämtliche gemeindeeigenen Bauplätze wurden an Einheimische und
Flüchtlinge verkauft. Die Gemeinde stellte den Bauhof kostenlos zur
Verfügung. Der Wasserleitungsbau wurde von den Bauenden unentgeldlich
geleistet, sie brauchten dafür weniger bzw. keine
Wasseranschlußgebühren zu bezahlen. Aus Borkenkäfereinschlägen im
Staatsforst bei Meßkirch besorgte man das notwendige Bauholz, der
Kaufpreis für gemeindeeigene Bauplätze und das Bauholz wurde gestundet
und den Bauenden bei der Finanzierung geholfen. 1948/49 gab die Gemeinde
die "Reute" zur Bebauung frei, es wurden 29 Bauplätze à 4 ar
zu einem Quadratmeterpreis zu 1,50/1,70 DM erschlossen. Anfang der 50er
Jahre folgte die Erschließung weiterer Baugebiete im "Heimenwasen",
"Im Aile", "Hinter den Krautgärten" und an der
"Mühlhalde". Um auch die Familien, die kein eigenes Haus
bauen konnten, mit ausreichend Wohnraum zu versorgen, errichtete die
Gemeinde selbst Wohnungen auf der "Reute" und im "Aile".
Zusätzlichen Wohnraum erstellte die Baugenossenschaft Siedlungsbau. Von
der damaligen Bautätigkeit mag eine Vorstellung gewinnen, wer einige
Zahlen beachtet: Im Jahr 1949 wurden 42, 1955 61 Wohnungen errichtet.
Zwischen 1948 und 1965 entstanden in Frickenhausen 724 (!) neue
Wohnungen. Durch die rege Bautätigkeit konnte der Wohnungsausschuß
1954 aufgelöst werden; 1956 schließlich war die ärgste Wohnungsnot
behoben: Seit 1945 nahm die Zahl der Einwohner um 85 %, die der
Wohnungen um 72 % zu.
Durch ihre "Vorratspolitik" – so kaufte die Gemeinde z.B.
1959 3 ha 87 qm vom staatlichen Liegenschaftsamt, dazu kamen zahlreiche
andere Grundstücksaufkäufe von privat – schuf sie die Voraussetzung
für die weitere andauernde Entwicklung: In den 60er und 70er Jahren
wurden weitere Baugebiete – "Gaiern", "Berg",
"Tischardtegart", "Melchiorgelände" –
erschlossen, allein 1968/69 24,5 ha. Als letztes größeres Baugebiet
nahm man schließlich Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre die Gebiete
"Schladäcker I und II" in Angriff.
Ähnlich wie in Frickenhausen, wenn auch etwas schwächer gestaltete
sich die Entwicklung der Bautätigkeit in den damals noch selbständigen
Gemeinden Tischardt und Linsenhofen. In Tischardt ermöglichte 1955 die
Aufstellung eines Bebauungsplans im Florianweg und in der Weinberghalde
den Bau von elf Wohnungen. Nachdem dann auch die Baugebiete "Beim
Friedhof" und "Frickenhäuser Straße I" nahezu überbaut
waren, beschloß die Gemeinde 1970 die Erschließung des Gebiets "Öschle".
Es folgten "Frickenhäuserstraße II" und "Burren".
Wasserversorgung
Die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichend und sauberem Wasser
stellte ebenfalls ein großes Problem dar. So stand Wasser zeitweise nur
für wenige Stunden am Tag zur Verfügung. Durch dessen schlechte
Qualität kam es in den ersten Nachkriegsjahren zu Typhuserkrankungen,
auch mit Todesfolgen. Außerdem stieg der Wasserverbrauch durch den
Zustrom der Heimatvertriebenen und durch normalen Bevölkerungszuwachs
enorm an, später kamen auch erheblich gehobene hygienische Ansprüche
hinzu.
Eine ausreichende Versorgung aus eigenen Quellen war nicht möglich.
So war der Bau eines Wasserreservoirs mit 600 Kubikmetern ein wichtiger
Schritt, dem 1954, nachdem Verhandlungen mit der
Jusi-Wasserversorgungs-Gruppe gescheitert waren, die Mitbegründung der
Blau-Lauter-Gruppe folgte. 1960 wurde die eigene Wasserversorgung
eingestellt und Frickenhausen ausschließlich mit Blau-Lauter-Wasser
versorgt. Im "Eichenfirst" entstand 1968 ein weiterer
Wasserhochbehälter mit 600 Kubikmetern. Doch erst seit 1975, als
Frickenhausen und auch Tischardt über die Blau-Lauter-Gruppe an die
Bodensee-Wasserversorgung angeschlossen wurde, kann die Versorgungsfrage
als gelöst angesehen werden. Tischardt trat im Jahre 1960 ebenfalls der
Blau-Lauter-Gruppe bei. Zusätzlich wurde die Wasserversorgung in beiden
Ortsteilen durch den Bau von Wasserhochbehältern in Linsenhofen
sichergestellt.
Auch das Problem der Abwasserbeseitigung mußte gelöst werden.
Zwischen 1954 und 1956 baute Frickenhausen als erste Gemeinde im
Altkreis Nürtingen eine mechanische Kläranlage, an die bereits 1957 60
% des Ortes angeschlossen waren. 1962 wurde sie um den biologischen Teil
erweitert; 1972 durch eine auf 7.000 Einwohner ausgelegte neue
Kläranlage ersetzt. Die 1956 beschlossene Wasserabgabesatzung wurde
landesweit als Muster empfohlen.
In Tischardt war aufgrund der schwierigen geographischen Lage des
Ortes der Anschluß an eine einzige Kläranlage nicht möglich; zwei
Anlagen zu bauen, war jedoch für die kleine Gemeinde nicht
finanzierbar. So schloß man Tischardt-Ost an die Frickenhäuser und
Tischardt-West an die Großbettlinger Kläranlage an.
Ende der 70er Jahre wurde – nach anfänglichen Planungen einer
neuen Sammelkläranlage Frickenhausen/Linsenhofen – vereinbart, mit
den Nachbargemeinden eine gemeinsame Lösung anzustreben. 1979
gründeten die Gemeinden Frickenhausen, Beuren, Neuffen und Kohlberg den
Abwasserverband "Neuffener Tal". 1982 konnte man die
mechanisch-biologische, auf 30.000 Einwohner ausgelegte
Verbandskläranlage in Frickenhausen fertigstellen.
Neben Kanalisation und Abwasserbeseitigung investierte die Gemeinde
in Regenrückhaltebecken. Mitte der 70er Jahre errichtete man ein
Regenklär- und Regenrückhaltebecken an der Sammelkläranlage. Es
folgten weitere Becken in Tischardt und Frickenhausen, die nach dem Bau
der modernen Verbandskläranlage überflüssigen alten Klär-werke wurde
ebenfalls zu Regenrückhaltebecken umgebaut.
Neben der Abwasserbeseitigung mußte die Frage der Müllentsorgung
gelöst werden. Vor der Einführung der Müllabfuhr 1957 waren viele
wilde Müllkippen entstanden.
Öffentliche Bauten
In den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten waren die Finanzmittel der
Gemeinde durch die Erschließung der Bau- und Gewerbegebiete nahezu
völlig gebunden.
Da die Gemeinde kaum mehr über eigenes Land verfügte, war sie
gezwungen, Grundstücke aufzukaufen. Die Baugebiete mußten kanalisiert,
mit Wasser versorgt, mit Straßen erschlossen werden. Im alten Ortskern
galt es, die Kanalisation – soweit vorhanden – und die
Wasserleitungen zu erneuern, die Straßen zu teeren. Waren 1948
Kanalisationen lediglich in der Länge von 2-3 km vorhanden gewesen, so
betrug 1966 das Kanalisationsnetz der Gemeinde rund 16 km. 1945-1966
wurden 23 km Gemeindestraßen gebaut. Ebenso stark trieb die Gemeinde
den Ausbau des Feldwegenetzes voran. Nach dem 2. Weltkrieg war kein
einziger ausgebauter Wald- oder Feldweg vorhanden. Bis Mitte der 60er
Jahre wurden sämtliche Wald- oder Feldwege befestigt, je 2-3 km
Feldwege wurden betoniert bzw. geteert.
Erst Ende der 60er Jahre konnte dann mit dem längst
überfälligen Bau eines neuen Rathauses begonnen werden. 1969 weihte
man das neue Rathaus, das zugleich Platz bot für Feuerwehr, Polizei und
Post, ein. Damit war zugleich die Ortskernsanierung eingeleitet. 1976
wurde die Kelter instandgesetzt. Die "Mittlere Straße" wurde
gepflastert, die drei dortigen Fachwerkhäuser renoviert. Dahin zog dann
die Ortsbücherei um. 1979 beschloß die Gemeinde, an der
"Mittleren Straße" Altenwohnungen zu errichten. Ein
vorbildlicher Beschluß zu dieser Zeit, da damals Altenheime bzw.
-wohnungen überwiegend am Stadt- bzw. Dorfrand entstanden. Die
'Siedlungsbau' übernahm 1981 die Bauträgerschaft und 1984 konnten die
Altenwohnungen ihrer Bestimmung übergeben werden.
Schon Anfang der 50er Jahre begann die Gemeinde, Grünanlagen und
Grünflächen anzulegen. Als erste entstand die Grünanlage am Bahnhof.
1954 wurde der Brunnen am Fuße der "Reute"-Siedlung gebaut.
Später folgten noch viele weitere Anlagen. 1948/49 kaufte die Gemeinde
Schlingrosen und stellte sie den Bürgern kostenlos zur Verfügung, um
zur Verschönerung des Ortes zu animieren. Allein 1985 wurden im
Ortsteil Frickenhausen 620 Bäume und 4.326 Sträucher gepflanzt. Im
selben Jahr stellte man die Grünanlagen "In den ungemachten
Gärten" fertig. 1983 und 1984 wurden weitere Brunnen gesetzt: In
der "Unteren Straße" der "Storchenbrunnen" – von
privaten Spendengeldern finanziert –, in der "Mittleren
Straße" der "Schusterbrunnen". Schließlich wurde 1983
in den "Neuäckern" ein Biotop angelegt.
Nach und nach folgte dann auch der Ausbau der Sportanlagen. Der
"Schafstall" wurde zu einer Gymnastikhalle. Zwischen 1968 und
1970 konnte das Sportstadion "Tischardtegart" fertiggestellt,
1973 neben dem Schulzentrum "Auf dem Berg" eine Mehrzweckhalle
und ein Schulsportplatz errichtet werden. Gegenüber vom Sportstadion
legte man Tennisplätze an. 1985 baute Frickenhausen eine neue,
großzügige Sporthalle. Die seitherige Mehrzweckhalle wurde in eine
moderne Festhalle umgebaut. Schließlich rundete der Mehrzweckbau für
den Bauhof der Gemeinde, die Feuerwehr und das DRK die umfangreiche
Investitionstätigkeit der Gemeinde ab.
Auch in Tischardt waren zunächst die wichtigsten
Infrastrukturmaßnahmen notwendig. 1964 wurde das Rathaus renoviert und
ein Feuerwehrgerätehaus gebaut, in dem auch Räume für die Schule und
für die Vereine vorhanden sind. Zwischen 1965 und 1967 wurde die
Ortsdurchfahrt verbessert und die Kanalisierung samt Wasserleitungen
teilweise saniert, die Ortsmitte mit einer Grünanlage und Brunnen neu
gestaltet. Mitte der 70er Jahre wurde ebenfalls ein neuer Sportplatz
angelegt und schließlich 1986 die neue Turn- und Festhalle
fertiggestellt.
In Linsenhofen tätigte die Gemeinde in den ersten Jahren nach der
Eingliederung nach Frickenhausen hohe Investitionen für Kanalisation,
Wasserleitung und Straßenbau. In die Mehrzweckhalle wurden Räume für
die Feuerwehr eingebaut. Es wurde ebenfalls mit der Ortskernsanierung
begonnen. Die Gemeinde baute einen neuen Sportplatz, 1984 konnte das
TSV-Heim fertiggestellt werden. Insgesamt investierte die Gemeinde
zwischen 1975 und 1986 rund 14 Mio. DM im Ortsteil Linsenhofen.
War Frickenhausen vor dem Krieg eine fast rein evangelische
Kirchengemeinde, so änderte sich dies durch den Zustrom der meist
katholischen Vertriebenen. Zunächst gehörte Frickenhausen zur
katholischen Pfarrgemeinde Nürtingen. Nachdem jedoch die Zahl der
Katholiken durch Zuzug ständig anwuchs, plante sie, eine eigene
Katholische Kirchengemeinde mit eigener Kirche in Frickenhausen zu
gründen. Die (bürgerliche) Gemeinde förderte diesen Plan und stellte
der Katholischen Kirche Bauland zu einem verbilligten Preis zur
Verfügung. Zwischen 1964 und 1965 entstand das Gemeindezentrum Omni und
die Klaus-von-der-Flühe-Kirche.
1980 zog die Evangelische Kirchengemeinde Tischardt in die auf dem
Platz der abgerissenen Kelter errichtete Christus-Kirche um. Über die
Frage, ob das nun leerstehende alte Kirchle aus dem 16. Jahrhundert
abgerissen werden sollte, entbrannte ein heftiger Streit. Doch alle
Proteste kamen zu spät, weil das Planfeststellungsverfahren zur
Ortsdurchfahrt, dem alle Anlieger, Gemeinderat und Ortschaftsrat
zugestimmt hatten, rechtskräftig geworden war. Das alte Kirchle wurde
abgerissen und in einem Freilichtmuseum wieder aufgebaut.
Durch die enorm angewachsene Bevölkerungszahl wurde in Frickenhausen
die Neuanlage eines Friedhofs notwendig. Nachdem der Standortbeschluß
bereits 1961 gefallen war, zogen sich die ohnehin zähen
Grundstücksverhandlungen ungewöhnlich in die Länge, führten aber
letztendlich zum Erfolg. Am 14. Juli 1968 konnte der neue Friedhof
endlich eingeweiht werden. Im November 1974 wurde die neue Aussegnungs-
und Leichenhalle fertiggestellt. Auch in Tischardt war der Friedhof zu
erweitern, 1977 weihte man die neue Leichen- und Aussegnungshalle. In
Linsenhofen wurde 1980 die Leichenhalle umgebaut und durch eine
Aussegnungshalle ergänzt.
Schulen
Wie überall im Land, so stockte auch in Frickenhausen in den
Nachkriegsjahren der Schulbetrieb. Zum Lehrermangel kam die durch die
Aufnahme der Flüchtlinge stark angewachsene Schülerzahl. Der
Unterricht mußte zeitweise im Schichtbetrieb abgehalten werden. Eine
erste Erleichterung brachte der Bau des Jugendhauses, den die Gemeinde
bereits 1950 beschlossen hatte. Die Räume des Jugendhauses, das der
Fonds der Amerikanischen Hohen Kommission zur Hälfte (56.000 DM)
bezuschußte, wurden als Unterrichtsräume mitbenutzt; im Obergeschoß
richtete man die Ortsbücherei ein. Eine weitere Entspannung brachte
1964 ein Pavillonanbau an die alte Schule. Im Jahr 1969 gründete
Frickenhausen mit Linsenhofen und Tischardt den Hauptschulverband.
Südlich des Jugendhauses entstand das Schulzentrums "Auf dem
Berg"; mit dessen Fertigstellung 1971 hatte die Raumnot ein Ende.
Die im alten Schulhaus jetzt freigewordenen Räume übernahmen die
Vereine und die Außenstelle der Volkshochschule Nürtingen. In
Linsenhofen konnte 1985 mit einer Pausenhalle und der Neugestaltung des
Pausenhofes die Instandsetzung des Schulhauses abgeschlossen werden.
Mit den gleichen Problemen hatten die Kindergärten zu kämpfen, auch
hier wurden Neubauten notwendig. 1953 konnte mit der Einweihung des
Jugendhauses auch das Richtfest des Kindergartens "Auf dem
Berg" gefeiert werden, der 1977 umgebaut und erweitert wurde. Der
als Schulraum nicht mehr benötigte Pavillon-Anbau an der alten Schule
wurde in einen Kindergarten umgewandelt. Es folgte der Kindergarten
"Tischardtegart". In Tischardt weihte man den neuen
Kindergarten 1974 ein. Zusätzlich legte die Gemeinde in allen drei
Ortsteilen viele Kinderspielplätze an. Durch diese Anstrengungen stand
bereits in den 70er Jahren allen Kindern von 3-6 Jahren ein
Kindergartenplatz zur Verfügung.
Landwirtschaft
Wie in all den Gebieten unseres Landes, in denen sich in den ersten
Jahrzehnten dieses Jahrhundert Industrie ansiedelte, ging die Zahl der
Landwirte in Frickenhausen beständig zurück. Diese Entwicklung setzte
sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt fort; jährlich
gaben 5-6 Bauern auf, auch die Zahl der Nebenerwerbslandwirte nahm
ständig ab. Gab es 1946 noch 125 Viehhaltungen mit 408 Rindern, waren
es 1978 nur noch 10 Betriebe mit 46 Rindern. Lediglich der Obstbau blieb
von einigem Gewicht und wurde von der Gemeinde großzügig gefördert.
1949 kaufte und pflanzte die Gemeinde 120 Obstbäume. Mitte der 50er
Jahre wurden u.a. eine Mirabellenanlage in der "Unteren Mochenhalde"
und eine Pfirsichanlage im "Maienwäldle" an die
Obstbaugemeinschaft verpachtet. Es folgten eine 1 ha große schwarze
Johannisbeeranlage im "Maienwäldle" und die 2,5 ha
Gemeinschaftsobstanlage "Hirschplan" – auf ehemaligen
Allmendteilen angelegt –, die ebenfalls an die Obstbaugemeinschaft
langfristig verpachtet wurden. In den 70er Jahren begann die Gemeinde
mit der Anlage von Gartenhausgebieten.
Industrieansiedlung
Neben der Beseitigung der Wohnungsnot, der Sicherstellung der
Wasserversorgung und der Eingliederung der Vertriebenen war die
Ansiedlung von Industrie und Gewerbe ein Hauptantliegen der Gemeinde.
Dies folgte zum einen aus der Strukturkrise der Textil-, Bekleidungs-
und Schuhindustrie, der 80 % aller Arbeitsplätze in Frickenhausen zum
Opfer fielen, und aus dem Rückgang der Landwirtschaft. Zum anderen war
es das erklärte Ziel, Frickenhausen nicht zu einer reinen Wohngemeinde,
sondern zu einer Arbeitsplatzgemeinde zu entwickeln. Nicht zuletzt
brauchte die Gemeinde eine solide finanzielle Grundlage, um ihre
zahlreichen Aufgaben bewältigen zu können. Die Verwaltung verfolgte
daher eine aktive Ansiedelungspolitik. Zunächst mußten in schwierigen
Verhandlungen Grundstücke erworben werden, um Gewerbegebiete
auszuweisen und erschließen zu können. Schon 1950 sprach man mit
verschiedenen Firmen, um ihnen mit günstigen Bedingungen die
Ansiedelung schmackhaft zu machen. Dabei wurde darauf Wert gelegt, nicht
wieder eine Monostruktur entstehen zu lassen, sondern eine ausgewogene
Mischung aus verschiedenen kleineren und mittleren Industrie- und
Gewerbebetrieben zu finden. Diese Strategie war schon bald erfolgreich.
Um nur wenige Firmen zu nennen: 1955 siedelten sich an die Firma Bock
& Co. (Kältemaschinen), 1958 die Firma Erich Wezel (Maschinenbau),
1970 die Firma Beck & Co. (Verpackungen), 1964/1976 die Firmen Alex
Linder (Bankeinrichtungen) und Stribel GmbH (Autoelektronik), 1977 Bebro
(Elektronik). Im Laufe der Jahre wurden weitere Gewerbegebiete
erschlossen. Allein zwischen 1950 und 1960 versiebenfachte sich das
Gewerbesteueraufkommen, die Zahl der Arbeitsplätze stieg von 780 im
Jahr 1954 auf ca. 3.600 im Jahr 1986.
Gemeindereform
Ende der 60er Jahre kam unter der großen Koalition im Land die Idee
einer kommunalen Gebiets- und Verwaltungsreform auf. Neben der
Kreisreform schlich sich langsam die Gemeindereform durch die
Hintertür. In einer ersten Zielplanung im Jahr 1968 wurde ein
gemeinsamer Verwaltungsraum der Gemeinden Frickenhausen, Linsenhofen und
Tischardt vorgeschlagen. Nachdem dann 1970 eine weitere Zielplanung für
die Gemeindereform angekündigt und die Ortschaftsratverfassung
eingeführt wurden, zudem Gemeindezusammenschlüsse höhere Mittel aus
dem kommunalen Finanzausgleich erhalten sollten, war endgültig klar,
wohin die Reise ging. In den Gemeinden diskutierte man nun über die
Möglichkeiten der verschiedenen Zusammenschlüsse. Es bildeten sich
zunächst zwei Möglichkeiten heraus: ein gemeinsamer Verwaltungsraum
zwischen Frikkenhausen, Linsenhofen und Tischardt oder aber die
Zuordnung nach Nürtingen. Nun mußte die Gemeinde aktiv werden; sie
schlug eine Verwaltungsgemeinschaft mit Linsenhofen und Tischardt vor.
Die Voraussetzungen hierfür waren nicht schlecht: Zwischen den drei
Gemeinden bestanden der Hautpschulverband, eine gemeinsame katholische
Kirchengemeinde, der gemeinsame Anschluß an die Blau-Lauter-Gruppe und
gemeindeübergreifende Vereine und Verbände wie der ADAC und Deutsches
Rotes Kreuz. Für Frickenhausen und Linsenhofen gab es einen gemeinsamen
Flächennutzungsplan. Frikkenhausen und Tischardt verband seit
Jahrzehnten der gemeinsame evangelische Pfarrer, der Klärverband und
nicht zuletzt seit 1954 ein gemeinsamer Bürgermeister.
So trafen sich am 1. Februar 1972 die Gemeinderäte der drei
Gemeinden zu einer gemeinsamen Sitzung, auf der eine neue
Einheitsgemeinde mit Einführung der Ortschaftsratsverfassung für
Linsenhofen und Tischardt als beste Lösung angesehen wurde. Weiterhin
brachte sich jedoch Nürtingen ins Spiel, das sich am liebsten alle drei
Gemeinden einverleiben wollte. Die verschiedenen Möglichkeiten waren
nun klar: Einheitsgemeinde, eine Gemeinde Frickenhausen-Tischardt,
Eingemeindung nach Nürtingen oder die Eingemeindung Linsenhofens nach
Neuffen.
In Linsenhofen und Tischardt fanden daraufhin am 27. Februar 1972
Bürgeranhörungen statt. In Tischardt stimmten von 297 Teilnehmenden
199 für Frickenhausen, 99 dagegen. Die Verhandlungen zwischen
Frickenhausen und Tischardt wurden nun zügig zu Ende geführt. Am 15.
April 1972 gliederte man Tischardt nach Frickenhausen ein. Durch die
Vereinbarung führte man die Ortschaftsratsverfassung ein und sagte
zusätzliche Investitionen in Tischardt zu. Erster Ortsvorsteher wurde
Karl Brandstetter.
In Linsenhofen gestaltete sich die weitere Entwicklung schwieriger.
Vor der Bürgeranhörung wurde am 13. Februar 1972 eine Meinungsumfrage
angesetzt. Von den 779 Abstimmenden stimmten 437 für die Eingliederung
nach Neuffen, 151 für Frickenhausen, 137 für Nürtingen und 50 für
die Selbständigkeit. Daraufhin setzte ein heftiger Wahlkampf pro
Neuffen bzw. pro Frickenhausen ein. Die Bürgeranhörung am 27. Februar
1972 brachte dann ein völlig anderes Ergebnis: Für die Eingemeindung
nach Neuffen stimmten 467 Linsenhöfer, dagegen 510. Eine Entscheidung
wurde schließlich fürs erste vertagt. Doch nicht für lange. Die Stadt
Neuffen drängte und Nürtingen wollte Frickenhausen zwangseingemeinden,
um für den Verlust des Kreissitzes 'entschädigt' zu werden.
Linsenhofen brachte einen weiteren Vorschlag ein, eine Einheitsgemeinde
'Neuffener Tal' aus den Gemeinden Neuffen, Beuren, Kohlberg, Linsenhofen
und Frikkenhausen zu bilden. Dieser fand jedoch kein Echo.
1973 bereitete das Land ein abschließendes Gesetz zur Gemeindereform
vor, das eine neue Gemeinde aus Frickenhausen und Linsenhofen vorsah. In
Linsenhofen mußte darauf hin eine erneute Bürgeranhörung
durchgeführt werden, die wiederum ein widersprüchliches Ergebnis
zeitigte: Für die Eingliederung nach Neuffen stimmten 395, dagegen 285.
Zugleich stimmten 433 für Frickenhausen, dagegen 300. Eine Abstimmung
im Gemeinderat für die Eingliederung nach Neuffen führte mit fünf zu
fünf Stimmen ebenfalls zu einem Patt.
Im Mai 1974 schlug Frickenhausen Linsenhofen neue Verhandlungen vor.
Da freiwillig geschlossene Vereinbarungen vom Land nur noch bis zum 1.
Juli 1974 genehmigt wurden, war dies die letzte Möglichkeit, einer
Zwangsregelung zuvor zu kommen. In einer gemeinsamen Gemeinderatssitzung
wurde nun die Vereinbarung, daß Linsenhofen nach Frickenhausen
eingemeindet wird, ausgehandelt und in getrennten Sitzungen einstimmig
beschlossen. Die Unterzeichnung fand am 20. Juni 1974 in Linsenhofen
statt. In Linsenhofen wurde ebenfalls die Ortschaftsratverfassung und
die unechte Teilortswahl eingeführt. Danach stehen dem Ortsteil
Frickenhausen neun, Linsenhofen sechs und Tischardt drei Sitze im
Gemeinderat zu. Erster Ortsvorsteher wurde der bisherige Bürgermeister
Otto Maisch. Nach seiner Pensionierung folgte im Mai 1976 Helmut Weiß.
Autoren- und Herausgeberteam, 1994
Zurück zum Seitenanfang
|